piwik no script img

Christentum statt Kommunismus

Eine steigende Zahl von Chinesen bekennt sich öffentlich zum christlichen Glauben. Peking reagiert mit Angriffen auf den Papst und Sektenverfolgung

aus Peking GEORG BLUME und JOHANN VOLLMER

„Christian Church“ steht auf einem unauffälligen Schild in einer staubigen Seitengasse der Pekinger Innenstadt. Draußen ist es still, kein Glockenläuten ist zu hören, und doch ist es kurz vor zehn Uhr an diesem Sonntag. In wenigen Minuten beginnt der protestantische Gottesdienst. Vorbei an den Bettlern vor dem Innenhof eilen die Gläubigen – bis sie annähernd zweitausend sind: Wie jeden Sonntag ist die versteckte Kirche an der Pekinger Chongwenmen-Straße rappelvoll.

Menschen aller Altersklassen sind gekommen und begrüßen sich mit Umarmungen. Das sieht man in China selten. Eine europäische Diakonisse fällt auf, die mit einigen Touristen den Weg zur Kirche gefunden hat. Für die Gäste gibt es sogar Kopfhörer, damit sie auf Englisch die Ansprache des Pastors mitverfolgen können. Denn Ausländer sind im chinesischen Gotteshaus regelmäßige Besucher: Vor ein paar Jahren kam sogar Bill Clinton in die Chongwenmen-Straße.

Amtlich anerkannt

15 Millionen protestantische Christen gibt es nach unabhängigen Schätzungen in China, die chinesische Regierung zählt dagegen 10 Millionen Anhänger der „Patriotischen Drei-Selbst-Bewegung“, wie sich die anerkannte evangelische Kirche seit 1952 nennt. Hinzu kommen 4 Millionen Katholiken laut offizieller Darstellung. Westliche Quellen sprechen von mindetens 10 Millionen chinesischen Katholiken. Sicher ist: Die Anzahl der Christen in China steigt schnell – mit der Bibelauflage, die 20 Millionen Exemplare erreicht. Schon zählt man 12.000 Kirchen in der Volksrepublik. Die Genehmigungen für die Gotteshäuser erteilen die Chinesischen Religionsbehörden – entsprechend einer Verfassung, die auf dem Papier Glaubensfreiheit zugesteht.

Im Jahresbericht der USA über Religionsfreiheit wird diese allerdings angezweifelt. Demnach werden 14 Minderheitsreligionen in China unterdrückt und in die Illegalität und den Untergrund getrieben, darunter auch die buddhistisch-fundamentalistische Falun-Gong-Bewegung, deren Anhänger immer wieder auf dem Platz des Himmlischen Friedens protestieren. Tausende von ihnen hat die Regierung in Umerziehungslager gesteckt.

Gottesdienst mit Gefühl

In der protestantischen Kirche beginnt der Gottesdienst. Diejenigen, die im runden Kirchenschiff keine Bank mehr gefunden haben, nehmen im Keller Platz. Mit Videokameras und großen Bildschirmen werden die Worte des Vorsängers in das Untergeschoss übertragen. „Ich bin so froh, denn Jesus liebt mich“, intoniert der junge Vorsänger, von einem Flügel und einer kleinen Elektro-Orgel unterstützt. Die Gemeinde reagiert unterschiedlich. Manchen steht große Freude in den Gesichtern, einige haben Tränen in den Augen. Vorgebeugt lassen sie ihren Emotionen freien Lauf. Andere beten niederkniend laut vor dem Altar.

„Die Anzahl der unregistrierten Protestanten in China wird im Ausland sehr übertrieben“, sagt Deng Fucun, Vizepräsident des Nationalkomitees der in China offiziell registrierten Protestantischen Kirche. „Die große Mehrheit geht ganz offen ihrer Religion nach.“

Trotzdem tut sich die chinesische Regierung mit den Weltreligionen Christentum und Islam schwerer als mit dem Buddhismus. Nach der für alle Religionen verheerenden Kulturrevolution gehen die Restaurierungsarbeiten seitens des Staates bei buddhistischen Einrichtungen bedeutend schneller voran als bei christlichen. „Das Christentum ist mit seiner Theologie auf das Diesseits gerichtet“, erklärt ein Mitglied der Pekinger Christengemeinde, das anonym bleiben will. Mit der Frage nach dem weltlichen Leben berühre die Theologie oft politisches Gebiet. Wo man aber die Macht berühre, werde es für Religion auch heute noch gefährlich. Der Buddhismus dagegen ziele mit Ausnahmen wie Falun Gong auf das Jenseits und werde deshalb als ungefährlich eingestuft.

In Wirklichkeit gibt es handfeste politische Gründe für den Konflikt zwischen Kirche und Kommunisten. Denn gerade das Christentum bietet vielen Chinesen, die in ihrem Leben viele Jahre des maoistischen Terrors durchlebten, Möglichkeiten zur Aufarbeitung eines Schreckens, dessen volles Ausmaß die Partei bis heute leugnet. „Die Menschen hier kommen zum Christentum als Suchende“, beobachtet ein westlicher Diplomat. „Die Thematisierung von Schuld und Vergebung ist für sie eine neue und unbekannte Form der Auseinandersetzung.“

Welche Probleme die Regierung in der Auseinandersetzung mit dem Christentum hat, zeigt ihr Streit mit der römisch-katholischen Kirche. Die im letzten Jahr vollzogene Heiligsprechung von 120 Missionaren, die zumeist während des Boxeraufstandes zu Beginn des 20. Jahrhunderts den Tod fanden, rief in China scharfen Protest hervor. In einer von der Partei diktierten Erklärung der „Patriotischen Vereinigung der chinesischen katholischen Kirche“, die den Papst als Oberhaupt nicht anerkennt, heißt es, der Vatikan würde mit der Heiligsprechung „Geschichtsfälschung“ betreiben und die Gefühle des chinesischen Volkes verletzen. Unter den Heiligen seien nicht wenige gewesen, die während der Invasion des Imperialismus und Kolonialismus Verbrechen begangen hätten.

Kirche im Untergrund

Der Streit um die Heiligsprechung bedeutete einen Rückschlag für die von vielen chinesischen Katholiken erhoffte Annäherung zur römisch-katholischen Kirche. Der Vatikan schätzt, dass gut ein Drittel der chinesischen Katholiken im Untergrund ihrem Glauben nachgehen muss, weil sie dem Papst nicht abschwören wollen.

Darin liegt eine wesentliche Ursache des Konfliktes. Denn China bestreitet die religiöse Unterdrückung, verlangt allerdings, dass sich die Katholiken in die staatlich anerkannten Kirchen begeben. Wer das nicht tut, kommt nach Ansicht der Kommunisten nicht wegen seines Glaubens, sondern als Gesetzesbrecher in Kollision mit dem Staat. Damit folgt man dem Artikel 36 der chinesischen Verfassung, der angelegt wurde, um westlichen Missionaren in China ihr Handwerk zu legen und seither „ausländischen Kräften“ verbietet, den Glauben der Chinesen zu „manipulieren“.

Von Adam und Eva an

Die Geschichte des Christentums in China bedingt sehr unterschiedliche Religionsauslegungen. So begegnete das Land ab dem 16. Jahrhundert zunächst der katholischen Lehre, genannt „Religion des Himmelsherrn“ (Tianzhujiao). Die spätere evangelische Mission prägte dann das Wort „Christusreligion“ (Jigujiao). Was dazu führt, dass Katholizismus und Protestantismus immer noch als zwei ganz verschiedene Religionen betrachtet werden. „Wenn man in China von Christen redet, meint man die Evangelischen“, sagt ein Pekinger Gemeindemitglied.

Besonders populär sind wörtliche Bibelauslegungen. Auf dem Land glauben viele chinesische Christen fest an eine 6.000-jährige Weltgeschichte, die mit Adam und Eva begonnen habe. Von Dorf zu Dorf begegnet man in den Provinzen ständig abweichenden Bibelinterpretationen, die zu immer neuen Abspaltungen führen, die für die Regierung kaum noch zu überschauen sind. Auch das ist ein Grund, weshalb die Behörden gelegentlich einzelne Christen-Gruppen herausstellen und als staatsfeindliche Sekte brandmarken.

Davon ist die Gemeinde in der Pekinger Chongwenmen-Straße nicht bedroht. Nach dem Gottesdienst strömen die Gläubigen aus dem Innenhof. Am Straßenrand verkaufen Händler goldene Kruzifixe.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen