Welt der Dämme

Weltweit gibt es etwa 45.000 Großstaudämme mit einer Höhe von fünfzehn Metern oder mehr. Damit sie gebaut werden konnten, mussten bis zu achtzig Millionen Menschen ihre Wohnorte verlassen. Meist wurden die Anwohner an Entscheidungen zur Planung der Dämme und zu ihrer Umsiedlung gar nicht oder nur unzureichend beteiligt. Auch die ökologischen Folgen vieler Großstaudämme sind verheerend. Flora und Fauna sind zum Teil auf Hunderten von Kilometern beiderseits der Staumauer gestört und vernichtet.

Das hat die World Commission on Dams (WCD) in ihrem Abschlussbericht festgestellt, den sie Ende vorigen Jahres nach zweijähriger Recherche veröffentlichte. Der auf Drängen von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) einberufenen unabhängigen Kommission unter der Schirmherrschaft von Nelson Mandela gehörten Vertreter aus Umweltverbänden, Politik und Wirtschaft an. An den Kosten beteiligte sich die Bundesrepublik mit 2,6 Millionen Mark.

Ein regelrecht pharaonisches Beispiel eines Staudammgroßprojekts liefert China. Dort wird seit Beginn der Neunzigerjahre am 185 Meter hohen und 2,3 Kilometer breiten Dreischluchtenstaudamm gebaut, der den Jangtse, einen der größten Flüsse Asiens, aufhalten soll. Bis der Damm 2009 vollendet ist, müssen 1,8 Millionen Menschen aus 1.711 Dörfern und 116 größeren Orten ihre Häuser verlassen. Der künftige Stausee soll sich über eine Fläche von 650 Kilometer Länge erstrecken. Weil schwere Umweltschäden für das sonst touristisch begehrte Jangtsetal absehbar sind, stimmten im chinesischen Volkskongress ein Drittel der Abgeordneten gegen den Damm.

Ein weiteres großes Projekt in China ist der Xiaolongdidamm, der den Gelben Fluss staut. Für den Bau, der vor zwei Jahren vollendet wurde, siedelte die chinesische Regierung 180.000 Menschen um. Weitere dreihunderttausend Menschen sind von den Auswirkungen des Damms direkt betroffen, etwa durch die Überflutung von dreihundert Quadratkilometer Ackerland. Der Plan, 1.800 Megawatt Strom zu liefern, konnte nicht verwirklicht werden, weil der Fluss in den langen Trockenzeiten zu wenig Wasser führt. Zum Vergleich: Ein Atomkraftwerk liefert rund 1.200 Megawatt Strom.

Indien: Im Narmadatal, das sich zu großen Teilen durch die Unionsstaaten Madhya Pradesh und Gujarat windet, baut der indische Staat seit vielen Jahren an einem ganzen Staudammsystem mit dreißig Hauptdämmen. Dazu gehört auch der Maheshwardamm, der für eine Leistung von vierhundert Megawatt 61 Dörfer überfluten soll, in denen noch etwa 25.000 Menschen wohnen. Diese besetzten im Januar 1998 die Baustelle und erzwangen einen Stopp der Arbeiten – vorübergehend. Jetzt wächst die Staumauer unter Polizeischutz, auch wenn es weiter Widerstand gibt.

Türkei: Ein alter Streitfall zwischen der türkischen Regierung und NGOs ist der Ilisustaudamm am Tigris in Südostanatolien. Seit Jahren versuchen Umweltorganisationen zu verhindern, dass die Türkei für dieses Bauvorhaben finanziell weiter aus dem Westen unterstützt wird. Würde der Staudamm in Betrieb gehen, würden 78.000 Kurden aus neunzig Dörfern vertrieben werden. Die Aufstauung würde die Wasserqualität des Flusses verschlechtern, was zu Konflikten mit den Nachbarländern Syrien und Irak führen dürfte, die vom Wasser des Tigris abhängig sind. Auch die zweitausend Jahre alte antike Stadt Hasankeyf würde in den Fluten des neuen Sees verschwinden.

MARIUS ZIPPE