Legende auf der Großleinwand

Fußballfilmnacht in Berlin. Zum Pokalendspiel gegen Schalke 04 füllten Union-Fans ganze Kinosäle mit Stadionatmosphäre. Der Höhepunkt in der Vereinsgeschichte blieb wegen der Niederlage jedoch ohne Happyend, dafür hofft man auf die Fortsetzung des Fußballkrimis im Uefa-Pokal

von DANIEL FERSCH

Wenn der unerwartete Aufstieg des 1. FC Union Berlin in die Zweite Bundesliga vielleicht nicht so recht interessiert, dann doch das Duell der „ewigen Verlierer“ aus Köpenick im DFB-Pokalfinale gegen Schalke 04: Eine kinoreife Leistung, dachten sich auch die Betreiber des UCI-Multiplex-Kinos in Berlin-Friedrichshain und öffneten zwei Kinosäle für Union-Anhänger, die ohne Karten für das Olympiastadion geblieben waren. Der Ansturm war gewaltig und die 700 Plätze sind schon vor dem Anpfiff bis auf den letzten Platz mit Zuschauern in den rot-weißen Vereinsfarben gefüllt. Fahnen werden geschwungen und die Gesänge der Fans im Stadion mitgegrölt, als die Spieler des Vereins überlebensgroß auf der Leinwand erschienen. Beste Voraussetzungen also für einen spannenden Leinwandkrimi.

Die wechselvolle Geschichte des Vereins liest sich auch wie ein spannendes Drehbuch. Gegründet wurde der 1. FC Union Berlin im Jahre 1966. Vorgänger des Vereins war die SG Union Oberschöneweide, die seit 1920 im Köpenicker Stadion „An der Alten Försterei“ spielte. Gleich zwei Jahre später erreichte der Verein mit dem Sieg im FDGB-Pokal über Carl Zeiss Jena den bis heute größten Erfolg seiner Vereinsgeschichte. Die Teilnahme am Europacup der Pokalsieger wurde den Rot-Weißen jedoch verwehrt, denn alle Spiele zwischen Mannschaften des Ostblocks und westeuropäischen Teams wurden in diesem Jahr wegen des Einmarschs sowjetischer Truppen in Prag abgesagt.

Seitdem scheint das Pech geradezu an dem Klub zu kleben. Bis zur Wende pendelte Union als Fahrstuhlklub beständig zwischen erster und zweiter DDR-Liga. Im wiedervereinigten Deutschland wurde der Regionalligaverein von einem Finanzskandal nach dem anderen erschüttert, trotz sportlicher Qualifikation wurde 1993 der Aufstieg in die Zweite Liga wegen einer gefälschten Bürgschaft untersagt. Aufwärts ging es erst nach 1997, als die Kinowelt AG bei Union einstieg und begann, den völlig überschuldeten Verein zu sanieren. Mit dem Erfolg, dass Union nächste Saison in der zweithöchsten Klasse spielt. Am Samstag schien dann das Happy End der Geschichte zum Greifen nahe.

Für die Vergangenheit interessiert sich im Kino jedoch kaum einer. Viel wichtiger ist, dass Union in der ersten Halbzeit die Schalker zu dominieren scheint. An der Biernachfüllstation im Foyer herrscht deswegen in der Pause Zuversicht. Union-Stürmer Harun Isa hatte kurz zuvor noch mit einem Lattentreffer für den ersten filmreifen Höhepunkt gesorgt, während Beinahemeister Schalke zum Nebendarsteller avancierte. „Bei Ebbe Sand ist wohl noch Sand im Getriebe“, witzelt ein Fan der Eisernen an der Bar. Und sein Nachbar hofft auf den Joker der Rot-Weißen: „Wir haben ja noch unsere Geheimwaffe, den Teixeira.“ Alle sind sich einig: Die Union-Show geht in Halbzeit zwei in die Fortsetzung. Bei so rosigen Aussichten verbrüdern sich die Unionanhänger auch bereitwillig mit zwei einsamen Schalkern, die es von der holländischen Grenze in das Friedrichshainer Kino verschlagen hat. „Hauptsache, hier tauchen heute keine BFCler auf“, meint einer der Unioner.

Zum Mythos FC Union gehört auch die erbitterte Rivalität mit dem BFC Dynamo, dem zweiten traditionsreichen Klub im Osten der Hauptstadt. Die Rollen sind klar verteilt: Die Rot-Weißen waren stets die Underdogs, während die Dynamos immer auf der Seite der DDR-Obrigkeit standen. War Union der Klub der Unangepassten, so wurde Dynamo von Stasi-Chef Mielke protegiert. Die Staatsführung sorgte stets dafür, dass ihr Renommierklub bevorzugt wurde. Union und anderen Vereinen wurden regelmäßig die besten Spieler weggeholt und zur Not Spiele noch durch die Parteiraison der Schiedsrichter umgebogen. Dies hatte zur Folge, dass Dynamo zehnmal in Folge DDR-Meister wurde. Derbys zwischen Union und Dynamo waren und sind also stets eine brandheiße Sache. Noch heute erzählt man sich an der „Alten Försterei“ Geschichten von Union-Fans, die bei Freistößen vor dem Dynamo-Tor doppeldeutig forderten: „Die Mauer muss weg!“

In der zweiten Halbzeit brodelt der Saal weiter, bis aus heiterem Himmel der Schalker Führungstreffer fällt. Plötzlich sind die zwei verirrten Schalker die Lautesten im Raum. Nach dem Abpfiff leert sich der Saal dann sehr schnell. Übrig bleiben nur Niels und Tobi, die beiden Schalker, die lautstark die Pokalübergabe an ihr Team bejubeln. An diesem Abend bleibt das Märchen vom Aschenputtel Union Berlin also noch ohne Happyend. Der Aufstieg in die Zweite Liga und die Teilnahme am Uefa-Pokal dürften jedoch für genügend spannende Fortsetzung garantieren.