Hoffen auf den Schulterschluss

aus Berlin SEVERIN WEILAND

Die Zuwanderungfrage gilt in der SPD als derart heikel, dass man darüber am liebsten gar nicht reden würde. „Das ist nun einmal kein Winner-Thema“, meinte kürzlich ein führendes SPD-Mitglied. Seit die Union vor vier Wochen ihr eigenes Zuwanderungspapier vorstellte, steht die SPD-Führung unter Druck. Sie versucht, ihre Klientel schonend vorzubereiten. Qualifizierung inländischer Arbeitnehmer habe Vorrang, verlangte SPD-Generalsekretär Franz Müntefering kürzlich. Am Wochenende nahm er erstmals die Unternehmerverbände in die Pflicht: Sie sollten eine Arbeitskräftebilanz vorlegen – als Grundlage für eine Zuwanderungsregelung.

Unverkennbar ist der Wille der SPD, Zeit zu gewinnen. Die Grünen halten sich zurück – wohl wissend, dass ihr Koalitionspartner es schwerer hat, seiner Anhängerschaft die Notwendigkeit einer Zuwanderung zu vermitteln. Je näher die Hamburger Bürgerschaftswahl am 23. September rücke, desto zurückhaltender werde auch die SPD, meinte jüngst ein führender Grüner. Beim kleineren Koalitionspartner wünscht man mittlerweile zu wissen, wohin die Reise gehen soll. Man habe schon sehr viel Zeit verloren, heißt es.

Die Grünen sehen sich selbst in der Pflicht, legten sie doch als erste Partei lange vor 1998 einen Entwurf für ein Einwanderungsgesetz vor. Dass die Partei ihr eigenes Modell kaum wird realisieren können, ist führenden Grünen in Partei und Fraktion klar. Immerhin aber soll mit ihnen noch in dieser Legislaturperiode der „Einstieg“ in ein Einwanderungsgesetz gemacht werden, so die offizielle Sprachregelung.

Wie dieser Einstieg in Grundzügen aussehen könnte, welchen Zeitrahmen sich die Koalition bei der Erarbeitung einer Gesetzesvorlage geben will und wer daran beteiligt wird, darum wird es u. a. heute Abend ab halb neun in der Dienstwohnung des Kanzlers in Berlin-Dahlem gehen. Gerhard Schröder, Joschka Fischer, die Fraktions- und Parteichefs von SPD und Grünen werden dabei auch Bundesinnenminister Otto Schily zuhören, dessen Erscheinen erwartet wird. Schließlich war aus seinem Amt durchgesickert, dass der Innenminister selbst bereits am 5. Juli einen Gesetzentwurf vorlegen will.

Bei den Grünen stößt das Vorgehen Schilys auf Unbehagen. Sie befürchten, wieder einmal außen vor gelassen zu werden – wie beim Staatsbürgerschaftsrecht 1998, als Bundesministerium und SPD-regierte Länder weitgehend die Federführung bei der Reform übernahmen.

Die von Schily eingesetzte Kommission unter Rita Süssmuth (CDU) wollte ihren Bericht ursprünglich am 4. Juli vorstellen. Weil der Spiegel die Kernthesen bereits am Wochenende veröffentlicht hat, ist dieser Termin weitgehend obsolet geworden. Eine Vorverlegung wird auch in der Koalition nicht mehr ausgeschlossen.

Welchen Kurs die SPD in der heutigen Koalitionsrunde einschlagen wird, ist in Grundzügen erkennbar. Seitdem Fraktionsvize Ludwig Stiegler das „Jahrzehnt der Integration“ verkündete, wird offenkundig eine möglichst restriktive Lösung angestrebt.

Zuletzt deutete am Samstag Dieter Wiefelspütz, SPD-Innenpolitiker im Bundestag, vor Parteimitgliedern des Berliner Bezirks Tempelhof-Schöneberg die Grundzüge der SPD-Position an: Integration habe einen ähnlich hohen Stellenwert wie die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, diene dem inneren Frieden und der Lebensqualität. Sie sei kostenintensiv, so dass Bund, Länder und Kommunen bei der Lastenverteilung gefragt seien.

Wiefelspütz wiederholte das, worüber auf Führungsebene der SPD mittlerweile Konsens besteht: Zuwanderung solle es zunächst nur für Höchstqualifizierte geben, neben der IT-Branche auch aus den Bereichen Kunst und Technik. Erst 2010, so der Innenexperte, könne über Lockerungen nachgedacht werden – dann nämlich wird aufgrund der demografischen Entwicklung der Arbeitskräftemangel in der Bundesrepublik zum ersten Mal spürbar werden.

In vier bis sechs Wochen, so Wiefelspütz in seinem Grundsatzreferat, wolle seine Partei Eckpunkte einbringen und mit den Grünen abstimmen. Ziel sei es, vor der Sommerpause eine „geschlossene Haltung“ der Koalition in der Zuwanderung zu haben und dann im Herbst in das Gesetzgebungsverfahren zu gehen. Dabei sucht die SPD den Konsens mit der Union. Man wolle, so Wiefelspütz vor den Berliner Genossen, CDU und CSU Gespräche anbieten, sich „davon aber nicht abhängig machen“.