Demokratie-Defizit
: Weg von den Urnen

■ Bürger sind die besseren Finanzpolitiker

Demokratiefreunde werden neidisch nach Hamburg gucken: Nicht nur, dass es dort inzwischen 24 Bürgerentscheide auf kommunaler Ebene gab. Gestern haben dort SPD, CDU und Grüne die Hürden für die Bürgerbeteiligung bei Landesentscheiden gesenkt. Davon ist Bremen noch weit entfernt, kritisiert Ralh Kampwirth, Sprecher vom Verein „Mehr Demokratie“.

taz: Kann Bremen von Hamburg lernen?

Ralph Kampwirth: Das hoffe ich. Aber auch in Hamburg wären die Parteien nicht von selbst auf die Idee gekommen, das zu reformieren. Es brauchte dafür einen Volksentscheid. Und dann gab es noch zweieinhalb Jahre Gezank und Gezerre.

Auch in Bremen wollte „Mehr Demokratie“ das mit einem Volksbegehren verändern. Aber das wurde vom Staatsgerichtshof kassiert.

Das Interessante daran ist, dass wir hier eigentlich sehr ähnliche Forderungen hatten wie in Hamburg, und dort kam es ja zur Volksabstimmung. Zwar steht der Volksentscheid seit 1947 hier in der Verfassung. Es ist aber noch nie zu einem Volksentscheid gekommen.

Man kriegt den Eindruck, die Bremer sperren sich.

In Bremen gibt es tatsächlich eine gewisse Tradition, dass der Senat Volksbegehren stoppen will. Von den zehn versuchten Volksbegehren wurden sechs vom Staatsgerichtshof für rechtswidrig erklärt, weil sie finanzielle Folgen haben.

Die Düsseldorfer haben ihrem Bürgermeister gerade verboten, die Stadtwerke zu verkaufen – und damit auf Millionen zu verzichten.

Die meisten Entscheidungen haben finanzielle Folgen. Und es ist eigentlich absurd zu sagen, wir schließen die Bürger davon aus, über die Verwendung ihrer Steuern zu entscheiden. Nur – rechtlich ist das Auslegungssache. Und in Bremen entschied man da sehr restriktiv. Dabei wäre das gerade für Bremen sehr empfehlenswert: Überall, wo die Bürger dabei mitentscheiden durften, trug das zur Konsolidierung der Haushalte bei. Die Bürger sind ja viel sparsamer als die Politiker. Die wollen viele Großprojekte gar nicht.

Traut man den Bremern solche Entscheidungen nicht zu?

Man will die Bürger hier zwar als Wähler gewinnen, aber zwischen den Wahlen sollen sie ruhig gestellt sein. Das ist so eine Mischung aus Angst vor den Bürgern und einer Gewöhnung an der Macht zu sein.

Wer boykottiert denn die direkte Demokratie hier?

Die SPD. Die sagt zwar sie ist für Volksentscheide, aber nur für solche die nicht praktikabel sind: Zu hohe Hürden, weil sonst eine Minderheitenherrschaft drohe. Oder – ich zitiere Horst Isola – das finanzpolitische Chaos ausbrechen würde. Gerade die SPD ist es ja so gewohnt, dass sie für sich entscheiden kann. Für die Grünen ist die Sache natürlich ein Kernthema, und auch von der CDU gibt es positive Stimmen.

Wie geht es denn in Bremen jetzt weiter?

Seitdem der Staatsgerichtshof unseren Antrag abgelehnt hat, ist das Thema tot. Wir haben zwar Gespräche mit Parteien geführt. Aber da ist niemand, der die Initiative übernimmt.

Die Erfahrungen aus anderen Bundesländern sind bestens?

Ja. Da müssen sich Politiker Mühe geben, die Bürger zu überzeugen. Hier dagegen werden Entscheidungen im Hinterzimmer ausgekungelt.

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