zoologie der sportlerarten
: PROF. HIRSCH-WURZ über den Turner

Muskelprotz und Mattenzwergin

Der Homo elasticus kann nicht nur mit Fug und Recht als einer der Steigbügelhalter des modernen Sports bezeichnet werden, sondern stellt auch gleichzeitig die personifizierte Negation der menschlichen Evolution dar. Schließlich ist seine Tätigkeit die einzige vom Homo sapiens ausgeübte, die sein Vorfahr, der Affe, nach wie vor erheblich besser beherrscht – abgesehen vielleicht vom Bananenschälen. Es darf allerdings als gesichert gelten, dass das Ideal, welches der Turnvater Jahn und seine Gesinnungsgenossen einst vor Augen hatten, eher weniger Richtung Orang-Utan oder Kapuzineräffchen tendierte.

Was ihnen vorschwebte, waren freie, wache Geister, die ihre Körper nicht durch militärischen Drill stählten, um dann über andere Völker herzufallen, sondern sie im frohen Wettstreite formten und übten, um die Weiber und vor allem sich selbst zu beeindrucken. Kein Sport, außer vielleicht dem Bodybuilding und dem Spiegelfechten, eignet sich so sehr für Narzissmus wie die Turnerei. Wenn man nur nicht so hundsmäßig viel trainieren müsste.

Während die Engländer frühzeitig Gefallen daran fanden, allerlei Arten von Bällen jedweder Form hinterherzuhecheln, begnügte sich der turnväterliche Deutsche zunächst damit, zu hüpfen, zu stemmen und den Kraftprotz zu mimen. Eine grundlegende sportliche Disposition, die nicht nur bis heute im deutschen Fußball nachwirkt, sondern auch den Weltsport nachhaltig prägte. Das kreative Ballspiel trat von England aus seinen Siegeszug um die Welt an und fand Anklang besonders in südeuropäischen und südamerikanischen Ländern, die deutsche Art der muskelbepackten Leibesertüchtigung kam dagegen besonders gut bei disziplinzugewandten Völkern wie Japanern, Chinesen und US-Amerikanern an. Später entdeckten auch die Machthaber realsozialistischer Sportrepubliken, dass sich im Turnen ausgezeichnet minderjährige Medaillengewinner heranzüchten lassen, was besonders gut hinter den vergitterten Fenstern rumänischer Turn-Internierungslager funktionierte. Als die Sache dort vorübergehend den Bach runterging, exportierte man die als Trainer getarnten Kerkermeister einfach in die USA.

Der weibliche Homo elasticus darf unter keinen Umständen etwas essen, muss pausenlos lächeln und ist immer mindestens 16 Jahre alt, auch wenn er aussieht wie sechs. Die Spezialität dieser gelenkigen Mattenzwerginnen ist das gummiballartige Hüpfen, die hochgradige Verrenkung, das spitzfüßige Tippeln auf Schwebebalken oder das extreme Verbiegen der Gliedmaßen unter Zuhilfenahme harmlos wirkender Folterinstrumente wie Ball, Band, Reif und Seil, was sich dann noch harmlos rhythmische Sportgymnastik nennt.

Auch in seiner männlichen Ausprägung ist der Homo elasticus gemeinhin von überaus kleinem Wuchs, weshalb er stundenlang an irgendwelchen Ringen herumhängen kann, ohne dass ihm die eigene Last zu schwer wird, oder mit der Geschwindigkeit eines hyperventilierenden Windmühlenflügels um eine Reckstange zwirbeln. Gern wuchtet er auch seine Beine in rasender Schrittfrequenz über ein so genanntes Seitpferd, was beim Betrachter peinigende Fantasien über diverse Varianten schmerzvoller Trainingsunfälle auslöst.

Die fundamentale Winzigkeit des Homo elasticus ist im Übrigen auch der Grund, weshalb das Turnen ausschließlich in Hallen abgehalten wird. Im Freien würde ein heftiger Windstoß genügen, und schon wäre niemand mehr da. Da würde es auch nichts helfen, dass der Kleinwuchs mit einer herkulischen Ausgeprägtheit der Muskelpartien korrespondiert, weshalb die hervorragendsten Exemplare der Spezies aussehen, als hätte man einen vollständigen Arnold Schwarzenegger in den Körper eines Woody Allen gestopft. Das ist auch der Grund, weshalb der Homo elasticus niemals Sponsoren findet, abgesehen von seiner weiblichen Ausprägung natürlich, die, wenn sie besonders rührend scheinsechzehnjährig aussieht, sogar auf amerikanische Cornflakes-Schachteln darf.

Wissenschaftliche Mitarbeit:

MATTI LIESKE

Fotohinweis:H. Hirsch-Wurz, 77, ist ordentlicher Professor für Humanzoologie am Institut für Bewegungsexzentrik in Göttingen.