„Es geht nicht um Pathos“

Antje Vollmer zu den Fragen, wie viel Fundamentalismus den Grünen gut tut, was die Grünen von Spaßkultur im Gen-Zeitalter halten und warum sich die Partei in der Gentechnik zwar mit den Kirchen, aber nicht mit den Christdemokraten versteht

Interview: PATRIK SCHWARZ

taz: Mit dem Thema Gentechnik haben die Grünen plötzlich wieder die Fundamental-Opposition für sich entdeckt – und die Gesellschaft applaudiert. Wer hat sich mehr verändert, die Partei oder die Republik?

Antje Vollmer: Wenn unsere Position zum Beispiel zur Embryonenforschung Fundamental-Opposition sein sollte, dann wären 70 Prozent der Bevölkerung Fundis.

Die Deutschen waren nicht immer so technologiekritisch, die Grünen nicht immer so fundamentalistisch.

Die Embryonenforschung ist ein Thema wie kein anderes. Da kann man keine Rückschlüsse auf die Partei als Ganzes ziehen. Ich möchte das gerne ganz nüchtern betrachten. Die Gesellschaft wehrt sich meinem Eindruck nach intuitiv dagegen, dass der Staat Abschied nehmen könnte von einem einfachen Grundsatz: Leben ist immer und ohne Einschränkung von Anfang an zu schützen – auch wenn sich im Lauf der medizinisch-biologischen Forschung unser jeweiliges Wissen darum verändert hat, wann dieser Anfang einsetzt. In der Gendebatte geht es also nicht um humanistisches Pathos, sondern nur darum, ob der Gesetzgeber neu definieren darf, wann Leben beginnt. Das wäre dann allerdings eine enorme Ausweitung des staatlichen Zugriffs. Die Urform menschlicher Existenz ist aber bereits Träger des Menschenrechts.

Die Grünen sind damit dicht an der Position der katholischen Kirche.

Ich stelle das mit Verblüffung fest, weil es noch nie der Fall war. Gleichzeitig kann sich ausgerechnet die CDU nicht mit jener großen Institution einigen, mit der sie früher stets in einer Front marschierte – das wird auf Dauer auch Folgen haben.

Ihr Parteichef Fritz Kuhn setzt auf das Thema Kinder. Da zeichnet sich die nächste Koalition mit den Kirchen ab. Sind die Grünen noch die Grünen?

Die Grünen sind inzwischen in ihrer dritten Generation angelangt. Die erste Generation hat die großen charismatischen Debatten der Grünen geführt. Der Impetus der zweiten Generation war, diese Themen berechenbar und realistisch umsetzbar zu machen. Die dritte Generation thematisiert wieder stärker grundsätzliche Fragen: Wie wollen wir leben? Welche sozialen Bindungen gibt es noch? Dabei geht es nicht um Moraldebatten, sondern um die Suche nach Lebensformen, die gleichermaßen frei und human sind.

Wie groß ist nun die Nähe zur CDU?

In der Humangenetik hat die CDU doch noch gar nicht zu einer einheitlichen Position gefunden. Da gibt es offenbar eine Verwirrung, die bis in den Kern christdemokratischer Identität reicht. Wolfgang Schäuble zum Beispiel, den ich ansonsten schätze, vertritt in der Konsequenz die völlig unhaltbare Ansicht, dass die Menschenwürde erst im Mutterleib beginnt. Befruchtete Eizellen außerhalb des Körpers wären damit frei verfügbar für die Forschung. Auch fast alle CDU-Frauen aus dem Osten, angefangen bei Angela Merkel, hängen einer sehr fragwürdigen Fortschrittsgläubigkeit an. Da gibt es eine tiefe Kluft zu den grünen Frauen, egal ob Ost oder West.

Schröder will eine wirtschaftsfreundliche Forschungspolitik. Riskieren die Grünen, bald nicht mehr wertebewusst zu wirken, sondern unmodern?

Die Frage, was modern ist in der Gesellschaft, verändert sich gerade. Bisher hieß es: Die Länder um uns herum sind weiter in der wirtschaftlichen Nutzung der Genforschung als wir. Deshalb müssen wir jetzt unseren Ferrari richtig positionieren, um in einer Verfolgungsjagd noch aufzuholen. Aber gerade diese vermeintliche Zwangsläufigkeit wird durch die aktuelle Debatte in Frage gestellt. Und Gerhard Schröder hat mit der ökologischen Agrarwende gezeigt, dass er zu erstaunlichen Aufbrüchen fähig ist, wenn die Situation es ihm abverlangt. Warum nicht auch bei der Gentechnik?

Die FDP profiliert sich derzeit als Verfechterin von Forschungsfreiheit und Fortschrittsglaube. Ist der optimistische Grundton nicht gerade für junge Wähler interessant?

Die Spaßfraktion in der FDP verkalkuliert sich. Die junge Generation von heute ist nicht aus der Mangelexistenz geboren. Sie muss nicht gierig sein. Sie kriegt ihren Spaß auch so. Allerdings dürfen die Grünen nicht in die alte Falle von Fundamentalismus und Freudlosigkeit tappen.

Sie haben selbst vor kurzem gesagt, in der Gentechnik verträten die Grünen einen „fundamentalistischen“ Kurs. Jetzt benutzen Sie die Vokabel als Schreckbild. Haben Sie Angst, dass sonst Jutta Ditfurth wieder bei den Grünen anklopft?

Die Gefahr ist doch, dass man unsere ethisch tatsächlich fundamentale Haltung in dieser Frage missversteht als Parole „Wir wollen wieder Fundis sein“. Das ist aber für die Grünen kein Weg in die Zukunft. Wir wollen etwas anderes: Die Leute müssen wieder merken, dass es uns mit manchen Positionen wirklich ernst ist.