Das Warten hat noch kein Ende

Auch nach dem Beschluss des Bundestags zur Rechtssicherheit könnte sich die Auszahlung der Entschädigungsgelder an die ehemaligen NS-Zwangsarbeiter weiter verzögern. Vielen Opfern fehlen die erforderlichen Nachweise für den Antrag

von NICOLE MASCHLER

Michael Jansen zeigte sich zufrieden. Als „eine Investition in die Zukunft“ bezeichnete der Chef der Bundesstiftung „Erinnerung, Verantwortung, Zukunft“ die Entschädigung früherer NS-Zwangsarbeiter. Doch noch scheint die Zukunft in weiter Ferne: Denn auch nach der Rechtssicherheit stehen der Auszahlung noch weitere Hürden entgegen.

Rund 1,8 Millionen Opfer haben sich bisher an die Partnerstiftungen in Osteuropa, die Jewish Claims Conference und die International Organization for Migration gewandt. Eine Million Anträge liegen vor. Doch die Stiftungen haben erst 300.000 bearbeitet. Dabei läuft die Antragsfrist am 11. August aus. Der Bundestag wird daher das Stiftungsgesetz ändern müssen.

Viele Zwangsarbeiter stellen ihren Antrag erst dann, fürchtet Jansen, wenn das Geld fließt. Noch mehr Sorge bereitet der Stiftung die Prüfung der Anträge. Sie hatte den Partnern vor Ort angeboten, bereits vorab jeweils 10.000 Anträge zu bearbeiten, um keine Zeit zu verlieren. Doch wegen EDV-Problemen haben bisher erst Polen und Tschechien Unterlagen geschickt, Probelisten mit je 100 Namen. Entscheidend sei, warnt Stiftungsvorstand Jansen, „dass die Partnerorganisationen das Geld innerhalb der vorgeschriebenen Frist von zehn Tagen verteilen“. Dies ist aber nicht in allen Fällen sicher. Mit den Russen gab es lange Dissens über die Auswahl der Bank. Bei einer ersten Entschädigung durch die Kohl-Regierung sind zwischen 1994 und 2000 mehr als 80 Millionen Mark verschwunden. Nun soll die russische Sparkasse, die auch international einen guten Ruf hat, die Abwicklung der Zahlungen übernehmen. Streit gab es zudem zwischen Moskau und den baltischen Staaten, die auf eigene Antragsannahmestellen drängten. Erst in den nächsten Tagen wird nun der Vertrag unterschrieben.

Prüfteams sollen vor Ort sicherstellen, dass die Gelder auch bei den Opfern ankommen. Doch mehr als Stichproben können die neun Prüfer angesichts von 1,5 Millionen erwarteten Anträge nicht leisten. Zumal nach Schätzungen jeder zweite Zwangsarbeiter nicht die erforderlichen Dokumente beisammen hat.

Erst kürzlich hat der Internationale Suchdienst des Roten Kreuzes in Bad Arolsen, der bei der Nachweisbeschaffung hilft, Alarm geschlagen: Die Partnerstiftungen der Ukrainie und Russlands hätten bisher kaum Anfragen gestellt. Und wenn, dann in kyrillischer Schrift statt – wie verabredet – übersetzt und auf Datenträgern.

Wenn sich auch in Arolsen keine Nachweise wie Arbeitsbücher oder Versicherungskarten finden, sollen die Anfragen an die Länder weitergeleitet werden. Doch die geplante Koordinierungsstelle mit Sitz in Köln besteht bisher nur auf dem Papier. „Auch wenn es die Stelle gebe, könnte sie im Moment noch gar nicht voll arbeiten“, sagt Klaus Postupa vom zuständigen Bundesarchiv in Koblenz. Mehr als die Partnerstiftungen ermahnen, kann aber auch die Bundesstiftung nicht. Und so verirren sich beinahe täglich Anfragen bei Einwohnermeldeämtern und Archiven. „Diese werden von uns nur mit großer Mühe bearbeitet“, sagt Günter Morsch, Vorstand der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten. Die einzige Archivarin im Haus muss die Angaben der Zwangsarbeiter mühsam auf die Fragebögen des Suchdienstes übertragen. Nicht immer können Morsch und sein Team helfen, denn die meisten Akten wurden im Krieg zerstört. Doch auch wenn die Zwangsarbeiter am Ende ihre Unterlagen zusammenhaben, hat das Warten noch kein Ende. Die Opfer erhalten zunächst eine erste Rate. Der Rest soll im kommenden Jahr folgen.