Ein König am Katheder

Keiner der Afrikanisten der Hauptstadt kommt aus Afrika – nur einer: Der Politologe Kum‘a Ndumbe aus Kamerun begeistert seine Studenten am OSI. Dennoch soll seine Stelle gestrichen werden

von URSULA TRÜPER

Vor allem im Frühling muss das Studium an der Freien Universität in Dahlem Spaß machen. Birkengrün, Fliederduft, Vogelzwitschern. Gepflegte Villen mit Vorgärten, in denen Rosen blühen. Dazwischen einige nüchterne Zweckbauten aus den Fünfzigerjahren. Eines von ihnen das Institut für Politikwissenschaft, das Otto-Suhr-Institut, OSI genannt.

Der Hörsaal A, der größte am OSI, ist ziemlich voll: Den vortragenden Professor hält es nicht auf seinem Stuhl. Lebhaft läuft er hin und her, während er über „Afrikanische Renaissance als Herausforderung für die internationale Entwicklungszusammenarbeit“ doziert. „Entwicklungshilfe“, fragt er in den Raum, „waren es denn die Afrikaner, die Entwicklungshilfe von Europa wollten?“ Es sei doch genau umgekehrt gewesen. Als in Afrika ein Land nach dem anderen unabhängig wurde, herrschte der Kalte Krieg. Beide Blöcke versuchten, Afrika an sich zu binden – durch „Entwicklungshilfe“. Heute nennt man das politisch korrekt „Entwicklungszusammenarbeit“. Aber noch immer seien es die Europäer, die die Entwicklungstheorien und die konkreten Projekte für Afrika entwickeln. Die Rolle der Afrikaner sei es dann, diese Projekte umzusetzen. Das könne nicht funktionieren. Afrika brauche internationale Wirtschaftskooperation, aber keine „Entwicklungshilfe“. „Kein Staat kann einen anderen entwickeln, Entwicklung kann nur von innen kommen.“

Gespannt hören die Studenten zu. Hier wird ihnen die politische Situation Afrikas aus der Sicht eines Afrikaners nahe gebracht. Und genau das ist es, was sie fasziniert. „Seit ich Kum‘a Ndumbe kenne, weiß ich, warum ich Politkwissenschaften studiere“, schwärmt der Politologiestudent Eric van Grasdorff. „Er bringt einfach eine andere Perspektive in die Kurse. So viele Klischees und Vorurteile werden durch ihn abgebaut.“ Van Grasdorff gehört zu einer Gruppe von Studenten, die die konkrete Arbeit ihres Professors unterstützen. Sie haben ein Dialogforum organisiert, zu dem sie afrikanische, französische und amerikanische Wissenschaftler, aber auch Gastredner aus der Bundesregierung und dem Diplomatischem Corps nach Berlin laden. Und sie haben eine Homepage ins Netz gestellt, die unter anderem Links zu mehreren hundert afrikanischen Zeitungen und Zeitschriften bietet: AfricAvenir.

Wenn Professor Kum‘a Ndumbe über seine Arbeit spricht, weiß er nicht so recht, ob er nun lachen oder weinen soll. „Hundertachtzehn Studenten! In einem Seminar!“, stöhnt er. „Dabei haben wir bereits die fünfte Semesterwoche, und ich hatte gehofft, einige würden wegbleiben. Aber,“ resigniert hebt er die Arme, „was soll ich machen? Sie haben mich besiegt.“ Er strahlt über das ganze Gesicht. Denn natürlich freut er sich über das rege Interesse an seinen Seminaren.

Kum‘a Ndumbe lehrt bereits seit zehn Jahren am OSI. Zunächst als Vertretung auf dem Lehrstuhl „Politik Afrikas“. Als der dann gestrichen wurde, lehrte Kum‘a Ndumbe als Professor in Kamerun. Jahrelang pendelte er zwischen Berlin und Yaunde. Eine kostengünstige Lösung für die FU, die ihm lediglich Flug und Aufenthalt während seiner Blockseminare in Berlin finanzieren musste.

Kum‘a Ndumbes Beziehung zu Deutschland geht weit zurück, genau genommen bis auf seinen Großvater, einen kamerunischen König. Der weigerte sich 1884, einen „Schutzvertrag“ mit dem Deutschen Reich zu unterschreiben. Daraufhin wurde sein Palast von deutschen Truppen niedergerissen und die Kunst schätze geraubt. Auch ein reich verzierter Schiffsbug, das Zeichen der Königswürde. Der liegt mittlerweile im Depot des Münchner Museums für Völkerkunde. Die bayrische Regierung denkt nicht daran, ihn ihren rechtmäßigen Eigentümern zurückzugeben. Beutekunst. „Seitdem bestehen Verbindungen zwischen Deutschland und meiner Familie“, sagt Kum‘a Ndumbe lakonisch. Er selbst kam 1961 nach München, besuchte ein Gymnasium und machte Abitur. Nach dem Studium in Deutschland promovierte er in Frankreich. Ende der Achtziger Jahre habilitierte er sich an der FU über die Afrikapolitik der Nazis.

Seit 1994 ist Kum‘a Ndumbe zum Thronfolger ernannt worden, sein Name lautet daher vollständig: Kuma‘a Ndumbe III. Die Königswürde hat ihm bislang vor allem Ärger gebracht. Die Regierungspartei in Kamerun versuchte, ihn für ihre Zwecke einzuspannen, und als er sich weigerte, übte sie massiv Druck auf ihn aus. Mehrfach versuchte die kamerunische Regierung, ihn zu verhaften. Schließlich holten ihn Freunde, Kollegen, der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) und das Auswärtige Amt in einer „konzertierten Aktion“ aus Kamerun heraus an die FU. Derzeit hat er einen befristeten Arbeitsvertrag, der vom DAAD und von der FU finanziert wird. Im September wird er auslaufen.

Warum tut die FU eigentlich nicht alles, um sich einen solchen Wissenschaftler zu sichern? Kum‘a Ndumbe ist der einzige Afrikaner, der in Berlin Afrika-Wissenschaften lehrt. Die sind ansonsten fest in europäischer Hand, sogar manche afrikanische Sprachen werden nicht von Muttersprachlern, sondern von Europäern gelehrt. Stünde es nicht einer Bildungseinrichtung in der Hauptstadt gut an, hier etwas internationales Flair zuzulassen? „Inhaltlich kann ich Ihnen da eigentlich nur zustimmen. Ich sehe mit wachsender Begeisterung, was Kum‘a Ndumbe mit seinen Studenten auf die Beine stellt“, erklärt der Dekan am OSI, Eberhard Sandschneider. Aber: Es muss gespart werden. Das OSI soll verkleinert und der gesamte Bereich Afrikapolitik soll abgebaut werden.

Kum‘a Ndumbes Pläne gehen in eine andere Richtung. Gemeinsam mit den anderen afrikabezogenen Institutionen, die über mehrere Berliner Universitäten verstreut sind, entwickelt er derzeit einen Master-Studiengang mit den Schwerpunkten „Krisenprävention“ und „Effizienz der Entwicklungszusammenarbeit in Afrika“. Wenn der Professor von diesem jüngsten seiner Projekte spricht, gerät er ins Schwärmen. Nicht nur Studenten und Doktoranden, sondern auch Nichtregierungsorganisationen und andere zivilgesellschaftliche Institutionen sollen sich hier schulen können. Integraler Bestandteil soll eine enge Kooperation mit afrikanischen Universitäten sein, ein echter Austausch der Studierenden und Lehrenden, bei dem Afrikaner und Deutsche gleichberechtigt mit- und voneinander lernen.

Noch zwei Semester, fordern Kum‘a Ndumbes Studenten, soll die FU ihren Professor finanzieren. Sie hoffen, dass in dieser Zeit der geplante Studiengang etabliert werden kann. Und wer soll das bezahlen? Dafür sind, neben deutschen Institutionen und der Wirtschaft, auch mehrere afrikanische Regierungen vorgesehen. Offensichtlich brauchen wir in Deutschland mittlerweile Entwicklungshilfe aus Afrika für notleidende deutsche Bildungseinrichtungen.

Homepage von africAvenir:www.africavenir.com