: Nicht mehr allein unter Jungs
Schwestern zur Sonne, zum Freestyle: HipHop ist traditionell eine Männerdomäne – das ist auch in Deutschland so. Doch die Zahl der weiblichen Rapperinnen wächst. Sie fordern Respekt. Und fragen: Hat jemand was gegen Frauenrap?
von THOMAS WINKLER
Samy Deluxe gebührt die Ehre, den Begriff in Umlauf gebracht zu haben. In „Wie jetzt“, einem Song von seinem Albumdebüt, das im April 2000 hoch in die deutschen Charts aufstieg, prägte der Rapper aus Hamburg das Wort vom „Frauenrap“. Als Schimpfwort. „Obwohl da ein paar Typen rappen, hört’s sich an wie Frauenrap“, mokierte er sich über seine männlichen Konkurrenten. Heute, etwas mehr als ein Jahr später, fragt Nina MC auf ihrem Stück „Doppel X Chromosom“ genervt in die Runde: „Hat noch irgendjemand was gegen Frauenrap?“
Ja, hat denn? „Es gibt definitiv Sexismus“, findet Nina, als sie beim Interview in einem mexikanischen Restaurant darauf angesprochen wird, und meint damit nicht nur ihr direktes Umfeld in Hamburg. Aber ob die deutsche HipHop-Szene generell frauenfeindlich ist, das ist eine Diskussion, die nur widerwillig geführt wird. Selbst die meisten Rapperinnen wollen die Frage nur ungern zum Thema machen. „Der Begriff Frauenrap klingt für mich einfach blöd – ungefähr so blöd wie Teakholzbeschlag“, blockt Nina. „Ich fühle mich davon aber nicht angesprochen.“
Im Moment boomt der deutschsprachige Rap. Wöchentlich erscheinen neue Platten. Nahezu jede Plattenfirma, ob Major oder Independent, ob traditionelles HipHop-Label oder fremd im Genre, leistet sich mittlerweile Rhymes & Beats auf Deutsch und investiert in einen stetig wachsenden Markt. In diesem Jahr werden mehr als 40 deutschsprachige HipHop-Alben erscheinen.
„Vielen Dank für die Blumen / Aber du starrst gerade auf meine Titten, Alter“ (Pyranja)
Reflexion über Inhalte will da nicht recht in die vorherrschende Goldgräberstimmung passen. Wenn das HipHop-Magazin Backspin einen zweiteiligen Bericht über „Mädels“ im deutschen HipHop druckt, dann ist das eher Pflichtübung und Fleißarbeit. Das Thema Sexismus dagegen wird auf den neun Schwerpunktseiten sorgsam ausgespart. Die Kritik kommt vornehmlich von außen. Konfrontiert man Aktivisten direkt, ist die Reaktion immer die gleiche. „Aus irgendeiner Ecke kommen immer die Auszieh’n-Rufe“, stellt stellvertretend der Hamburger Rapper Nico Suave fest. „Ich denke aber, dass das bei den Rockern nicht anders ist.“
Von den Frauen selbst bekommt man Ähnliches zu hören. „Die HipHop-Szene ist so sexistisch wie andere Szenen“, meint Meli, Rapperin von Skillz en Masse aus Stuttgart, deren Album Anfang Juli erscheinen soll. Ihre Berliner Kollegin Pyranja fragt: „War das im Rock am Anfang nicht genauso?“ Und Nina ergänzt: „Die Szene ist viel zu groß, als dass man sagen könnte, sie sei prinzipiell sexistisch.“
Dabei hat gerade Nina manches zu erzählen. So wollte der Stilist für das Video zu „Bon Voyage“ – dem Deichkind-Hit, zu dem Nina den eingängigen Refrain beisteuerte – aus ihr „eine halbe Lil’ Kim machen“, wie sie sich erinnert. Nur schwer konnte sie „die Klamotten durchsetzen, die ich anziehen wollte“. Der Overall, den sie dann anzog, hatte aber immer noch einen Ausschnitt, der „einen tiefen Einblick“ gewährte. Nun trifft ihr Freund immer wieder auf Fans, die ihm – der personellen Verbindung nicht gewahr – begeistert von der Oberweite seiner Liebsten erzählen.
Dass der Sexismus in der Branche durchaus ambivalent sein kann, weiß Nina aber noch aus ihrer Zeit beim renommierten Hamburger HipHop-Indie „Yo Mama“. Sie war erst 20, als sie vor vier Jahren einen Vertrag bekam. Dann aber kam es nie zu einer Veröffentlichung und deswegen schließlich zum Ende der Zusammenarbeit. „In den Ablöseverträgen stand, unsere Aufnahmen seien zu schlecht und wir nicht bereit, daran zu arbeiten“, erzählt Nina. Nachträglich stellte sich heraus, dass die Verantwortlichen bei Yo Mama sich das eingereichte Demoband erst ein halbes Jahr nach Vertragsabschluss zum ersten Mal angehört hatten. Nun freut sich ihre neue Firma „Motor Music“ über die Aufnahmen, die Yo Mama zu schlecht waren. Dort werden sie, kaum verändert, erscheinen.
„Hier kommt was für deinen süßen Arsch / Wir sind auf unserm Marsch“ (Lizi, „Purple Haze“)
Die Zeit scheint reif für „Frauenrap“, und die meisten Labels, ob Indie oder Major, haben nun weibliche MCs unter Vertrag genommen. Jahrelang schien Cora E. aus Heidelberg, „die große Cora“ (Nina), die einzige Frau, die sich auf die Bühne eines HipHop-Jams wagte. Nun tauchen überall neue Namen auf. In München texten Fiva MC und E-La, in Hamburg Bintia, in Frankfurt Lyn, in Berlin Aziza-A, Schnecke MC und Lisi alias MC Purple Haze. Melbeatz baut in Kreuzberg Beats – zum Teil auch für ihren Lebensgefährten Kool Savas, der sich in seinen Texten als unheilbarer Chauvi inszeniert.
In der deutlich männlich dominierten, sonst eher affirmativen Szenepresse werden weibliche MCs dafür aber immer wieder mal abgewatscht: Da wird am Flow gekrittelt und die Rhymes als whack abgetan. Beliebtester Vorwurf: Frauen würden Plattenverträge hinterhergeworfen bekommen, ohne erst einmal ein paar Jahre lang von Jam zu Jam gereist zu sein und sich in Freestyle-Contests bewiesen zu haben. Dass mittlerweile auch jeder Mann, der ein Mikro halbwegs gerade vorm Mund halten kann, einen Plattenvertrag bekommt, verschweigen solche Kritiker dagegen tunlichst – ebenso wie den Fakt, dass es vor allem Frauen sind, die beginnen, die Beschränkungen im deutschen Rap aufzubrechen. Während der Großteil der männlichen Kollegen immer noch damit beschäftigt ist, den anderen Schwanzträgern zu erzählen, wer den längsten hat und sowieso am besten rappen kann, wagen sich Frauen über solche Battle-Texte hinaus. Sie thematisieren ihr Frausein im HipHop, aber auch im Allgemeinen.
Doch „HipHop ist nun mal eine männliche Angelegenheit“, hat Nina festgestellt. Schließlich ist der Rap einst aus dem Wettkampf hervorgegangen. Die Sprache diente traditionell nicht dem Ausdruck von Gefühlen, sondern als Waffe. „Es geht um dicke Eier, um Muskeln. Es geht um Gepose, um nackte Frauen. Es geht ums Austesten von Grenzen, um männliches Balzgehabe“, sagt Nina. „Das sind Jungs in ihrer Pubertät.“
Eine Pubertät, die viele, wie es scheint, noch nicht überwunden haben und die weiter ihr Frauenbild bestimmt. So ließ das Bo von 5 Sterne Deluxe in seinem Videoclip zu „’türlich, ’türlich (Sicher, Dicker)“, eine Verbeugung vor Miami Bass und Ballermann, die Kamera so zielsicher über Tits & Ass zoomen, als läge der Timmendorfer Strand in Florida. Da geriet „die Grenze zwischen Ironie und Krassheit zu schmal“, findet auch Pyranja. „Aber ich kann mich auch nicht zu sehr darüber aufregen, sonst heißt es gleich: die ist doch verklemmt. Also kann ich nur sagen: Ich fühle mich nicht angesprochen.“
So beschwören die Frauen ihr Einzelkämpfertum. Pyranja erzählt, dass sie eh schon immer allein unter Männern war, ob auf dem BMX-Rad oder beim Graffiti-Sprühen. Dass sie mit zwei älteren Brüdern aufgewachsen sei, gegen die sie sich „immer durchgesetzt“ habe, berichtet auch Meli. Und Nina erzählt: „Es war vollkommen normal, dass ich mich hauptsächlich zwischen Jungs bewege.“
Frauensolidarität gerät da leicht zur Vokabel aus der frauenbewegten Mottenkiste, Feministin zum Schimpfwort. „Den Respekt“, sagt Meli, „den habe ich mir erarbeitet. Das muss jede Frau für sich selbst erreichen“, findet sie. Manche Frauen verdienen aber schlicht auch keinen Respekt. Lisi hat gleich einen ganzen Track über die „Votzen“ geschrieben, die sich an männlichen Klischees orientieren. Und Bintia, bekannt geworden als Backgroundstimme auf der Deichkind-Erfolgssingle „Weit weg“, rappt auf ihrem Solo-Album, das Mitte Juni erscheinen soll: „Warum setzt ihr euch erst aufs Bett und seht zu, wie Ihr falsche Gedanken weckt / Irgendwann kriegt ihr dafür ein Brett, denn ihr zieht damit den Ruf der Frauen in den Dreck / [. . .] Wegen Opfern wie euch müssen Frauen wie ich sich auf der Bühne ,Auszieh’n‘ anhör’n/ Wegen euch Groupie-Gören, die ohne Stolz fame Typen betören“.
Die meisten Rapperinnen kritisieren aber nur widerwillig ihr Umfeld. Wenn etwas gesagt wird, was ihr nicht passt, gehe sie halt weg, empfiehlt Meli als Strategie: „Sexismus ist so offensichtlich und alltäglich für mich, im HipHop wie in jedem anderen Teil der Gesellschaft, dass ich gelernt habe, damit zu leben. So wie ich damit lebe, schwarz zu sein und Rassisten zu begegnen. Sexismus ist nicht mein Hauptthema. Würde ich mich die ganze Zeit damit beschäftigen, würde ich noch zur fanatischen Feministin.“ Fast spuckt sie das Wort aus.
„Was denkst du? Rappen ist für eine Frau kein Beruf?“ (Nina MC)
Noch sind Rapperinnen in Deutschland zwar keine Selbstverständlichkeit. Aber sie erobern sich das Mikro, zunehmend. Sie bekommen heute nicht mehr automatisch Höflichkeitsapplaus und „Fünfminutenbonus“ (Pyranja). Dafür gewinnen sie aber auch schon mal einen Freestyle-Wettbewerb. Noch werden sie zwar mit Veranstaltungen wie „Female Flows“ unter Sonderbeobachtung gestellt. Doch „diese Zweiklassengesellschaft“, findet Nina, sei einfach „Teil der Entwicklung“. „Ein paar Jahre dauert es vielleicht noch“, glaubt Pyranja. Oder besser: Hofft sie. Denn noch hat sie „das Gefühl, ständig beweisen zu müssen, dass ich das auch ernst meine“. „Das“ ist HipHop in Deutschland.
Der Blick in die USA, das Heimatland des HipHop, bietet allerdings wenig Verheißungen für die Zukunft. Dort dominiert, mit Rapperinnen wie Lil’ Kim oder Foxy Brown, das Sex-Sells-Modell. Frauen dagegen wie Missy Elliott, Lauryn Hill oder Bahamadia, die vor allem als Musikerinnen ernst genommen werden, bilden immer noch die Ausnahme.
Wer aber sollte das ändern, wenn nicht die Frauen selbst? Auch wenn Meli, Nina und Pyranja die Vorbildfunktion unisono ablehnen – vorerst gilt es, Freiräume zu erobern und Rollenverteilungen zu brechen. „Schon im Kindergarten“, erzählt die in Rostock aufgewachsene Pyranja, „wollte ich immer Winnetou sein und nicht irgendeine Squaw.“ Wer sich, wie sie, in einer ostdeutschen Volksbildungseinrichtung durchzusetzen vermochte, der wird sich auch in der selbst verwalteten Kindertagesstätte Deutscher HipHop kaum aufhalten lassen.
Heute ab 22 Uhr Volksbühne in: Female Choice: Mit: Pyranja, Nina, Ra’an, Lyn MC, Aziza A, DJ Lea. Special Guest: Rah Digga.
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