Die wichtigste Nebensache der Republik

Berlin hat ein neues Gesellschaftsspiel: „Spot the Gerd“. Die taz stellt es erstmalig einer breiteren Öffentlichkeit vor

Die Durchleuchtung des Parlamentarismus bundesdeutscher Ausprägung hat nicht nur in dieser Kolumne einen schweren Stand

Diese Kolumne ist ein Missverständnis. Zwar hat unser Kollege Jens König zuletzt an dieser Stelle allerlei Trivialitäten zur Vita des Kanzlers zusammengetragen. Aber: Schröder ist Trash, und mit Trash wollen wir nichts zu tun haben. Darum sollte die Rubrik eigentlich heißen „Die Erforschung der konstitutionellen Besonderheiten des Parlamentarismus bundesdeutscher Ausprägung“. Es ist ein Feld, dessen Durchdringung in dieser Zeitung notorisch zu kurz kommt. Auf den Namen mussten wir allerdings nach einem Rechtsstreit mit einer bedeutenden deutschen Kosmetikkette verzichten. Der Discounter plant eine Parfümreihe unter dem Namen „Eau de Parlament“ und macht Verwechslungsgefahr mit dieser Kolumne gelten.

Egal. Ich arbeitete also gerade an meinem Debütstück „Der Plenarsaal des Deutschen Bundestages im Reichstagsgebäude – das parlamentarische Rund als diskursiver Raum“, als das Telefon klingelte. Graf Nayhauß war am Apparat. Der renommierte Bild-Kolumnist plant einen Relaunch seiner berühmten Klatschkolumne „Berlin vertraulich“ („Die Queen in Berlin – Ich brachte sie zum Lachen“). Er will sich stärker als bisher der Erforschung der konstitutionellen Besonderheiten des Parlamentarismus bundesdeutscher Ausprägung widmen – ein Feld, dessen Durchdringung in seiner Zeitung notorisch zu kurz komme, wie er sich ausdrückte.

Im Berliner Nobelrestaurant „Borchardt“ hatte er von meinen Plänen erfahren und bat mich aus alter Verbundenheit, mein Debütstück ein wenig aufzuschieben, bis sich seine neue Rubrik etablieren konnte. In meinem Inneren konnte ich mich des Gefühls nicht erwehren: So ist das in der Berliner Republik. Du hast keine Idee für dich alleine, die Konkurrenz ist gnadenlos, das Tempo der Berichterstattung mit den alten Bonner Tagen nicht zu vergleichen. Ich warnte Graf Nayhauß vor dem Kosmetikdiscounter, sicherte ihm aber aus Respekt vor seiner Lebensleistung zu, mit meinem Aufsatz noch zwei Wochen zu warten.

Wollen Sie so lange mal hören, was ich so denke über Schröder? Wenn nicht, ist auch gut. Springen Sie dann bitte vor bis zu Zeile 154.

An alle anderen: Also mal ehrlich! Um Schröder kommt man nicht herum. Schröder ist die wichtigste Nebensache der Berliner Republik. Solange das so ist, wird Deutschland Schröder wählen und die Durchleuchtung des Parlamentarismus bundesdeutscher Ausprägung in dieser Kolumne einen schweren Stand haben.

Ob Sie in Berlin dazugehören oder eben nicht, entscheidet sich deshalb daran, ob Sie mithalten können beim Schröder-Talk. Im Zuge der zunehmenden Serviceorientierung dieser Zeitung können Sie sich hier fit machen. Jens König bewies Ihnen an dieser Stelle, was Sie alles nicht über Schröder wissen („Wo ist er geboren? In einem Stall in Bethlehem oder im Erich-Ollenhauer-Haus?“). Heute geht es um den Schröder, den Sie kennen – aber nicht erkennen. „Spot the Gerd“ heißt das neue Gesellschaftsspiel in Berlin, das die taz hier erstmals einer breiteren Öffentlichkeit vorstellt.

Es wird in zwei Schwierigkeitsgraden gespielt, „Schröder, der Mensch“ (leicht) und „Schröder, das Vorbild“ (schwer). Bei der ersten Variante können Sie mitmachen, indem Sie sich einer der Senioren-Reisegruppen auf dem Berliner Gendarmenmarkt anschließen und Gerd Schröder erspähen, wenn er Mittagessen geht (ein paar Insider-Tipps: Meist kommt er eher nach eins als vor eins, lieber zum Italiener als ins Weinhaus Huth, eher mit Sigrid Krampitz, seiner Büroleiterin, als mit Frank-Walter Steinmeier, dem Kanzleramtsminister. Wenn’s warm ist, sitzt er gerne draußen, wenn’s sehr warm ist, zieht er auch mal das Jackett aus, und wenn’s heiß ist, hat er unter den Achseln dieselben Schweißflecken wie die älteren Heren in den Reisegruppen).

Wenn Ihnen das zu banal ist, spielen Sie doch einfach „Spot the Gerd“ für Akademiker. Wen hat der Bundeskanzler heute wieder inspiriert? Wer wird morgen seinem Vorbild am besten gerecht? Die Antwort für diese Woche: Thomas Gottschalk. Gerade hat Schröder ein Herz für Ostdeutschland gezeigt („Schröders Kusine war bei der Stasi – der Kanzler hat ihr schon verziehen“). Jetzt spendet Thomas Gottschalk eine Million Mark für den Aufbau Ost (Bild: „Größter Soli aller Zeiten“).

So, hier beginnt Zeile 154. Allen Lesern, die sich nicht für meine Gedanken über Schröder interessiert haben, entbieten wir ein fröhliches „Schön, dass Sie wieder dabei sind!“ Weil das Wort Schröder ungleich kürzer ist als „Parlamentarismus“, haben wir im Laufe der Kolumne einiges an Platz gespart. Diesen verwenden wir gerne für einen Tipp in unserer Reihe „Das Gute Buch“: „So arbeitet der Deutsche Bundestag“, ISBN 3-87576-432-3.

patrik schwarz

Fragen zu Schröder?kolumne@taz.de