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Intrigantes Kribbeln

Installationen mit subtilen Verschleierungsmomenten, die auf ihre jeweilige Umgebung reagieren oder ihnen gezielt etwas entgegensetzen: Am Ende eines einjährigen Berlinaufenthaltes präsentiert der amerikanische daad-Stipendiat und Klangkünstler Ed Osborn seine Arbeiten in der Parochialkirche

von BJÖRN GOTTSTEIN

Es sieht ganz so aus, als sei dieser Ski seiner eigentlichen Bestimmung auf ewig entledigt. Und das weniger, weil er an einem lauen Frühlingsabend an der Wand einer Kreuzberger Wohnung lehnt. Sondern weil er zur Arbeitsausrüstung von Ed Osborn gehört, der das Sportgerät mit einer krauseligen Stahlsaite und einem Tonabnehmer frisiert hat. Das Produkt aus dem Hause „Atomic“ dient nunmehr zähen, honigschweren Klängen, die Osborn an diesem Abend per Cellobogen und Effektschleifen aus seinem Abfahrts-Monochord herausschält.

Ed Osborn, 1964 als Amerikaner in Helsinki geboren, ist Klangkünstler. Zurückhaltend antwortet er auf die Frage, ob er denn im engeren Sinne des Wortes noch Komponist zu nennen sei. „Nur an einem guten Tag“, gibt er – mit Understatement – zu verstehen. Noten hat er schon lange keine mehr zu Papier gebracht. Und seine Arbeitszeit verbringt er eben lieber in der Werkstatt, wo er Maschinen, Apparate und Instrumente baut.

Verwirrend, ja zunächst durchaus fragwürdig wirkt die Bandbreite der Materialien, mit denen Osborn operiert. Er beschränkt sich nicht, wie viele andere Vertreter seines Metiers, auf ein bestimmtes Resonanzphänomen, um es mit verbissenem Forschergeist und in jahrelanger Arbeit beständig zu verfeinern. Bei seinen Stücken kauert er wahlweise über einem Laptop, um die Vibration großer Fenstergläser und das Flattern von Fahnen zu einem virtuellen Windspiel zu montieren. Oder er gewinnt einer Hawaiigitarre geschwungene Läufe ab, die er mit Echogeräten zu einem kanonischen Fraktal verknotet.

Der flatterhafte Umgang mit verschiedenen Instrumenten ließe sich vorschnell wohl als Oberflächlichkeit aburteilen. Eine grobe Fehleinschätzung, sofern man damit einen wesentlichen Unterschied zwischen Klangkunst und tradierten Musikformen verkennt. Denn anders als die „Musik“ verzichtet Klangkunst auf ihre uneingeschränkte Autonomie. Sie erklingt nicht um ihrer selbst willen, sondern in weitläufigen Zusammenhängen. Seine Objekte, so Osborn, sollen auf ihr jeweilige Umgebung reagieren oder ihnen gezielt etwas entgegensetzen. Jeder neue Kontext verlangt also ein neues, eigenes Konzept. Und es ist die Virtuosität, mit der Osborn Probleme des räumlich-musikalischen Zusammenhangs löst, die ihn als einen der derzeit interessantesten Klangkünstler auszeichnet.

Drei von Osborns Entwürfen werden zur Zeit in der Parochialkirche in Mitte ausgestellt. „Flying Objects“ heißt das Installations-Triptychon, das vorwiegend mit Propellern und Ventilatoren arbeitet. „Es sind vertraute Maschinen, die freundlich wirken. Die meisten Menschen wissen, wie sie funktionieren und wozu sie gut sind,“ erklärt Osborn seine Neigung zu den elektrisch betriebenen Rotoren. Tatsächlich liegt den Installationen stets ein einfacher, transparenter Mechanismus zugrunde. Das Arrangement macht gelegentlich den Eindruck des konzeptkunsthaft, wie beiläufig Ausgestellten. Und doch bedient sich jede der drei Installationen eines leichten, subtilen Verschleierungsmoments.

In einem verdunkelten Raum des Glockenturms etwa liegen die elektrisch surrenden Apparate unbefestigt auf den Holzplanken. Einen stärkeren Eindruck als das Geräusch der Motoren hinterlässt das Kribbeln des unter den Füßen vibrierenden Bodens, was ein gezieltes Orten der Klangquelle erschwert. Die Dielen sind ein wenig aus den Fugen und beim Auf-und-ab-schreiten verlagern sich die Resonanzräume, so dass sich die Installation „Nordmaschine“ vom Besucher spielen lässt wie die Pedale einer Orgel.

Die schönste der drei Installationen, „LFO“, findet sich im Hauptschiff der Kirche. Das Rotieren der Propeller wird hier nicht als Geräusch, sondern als Bewegung und trotzdem akustisch in Szene gesetzt. Ein ursprünglich für medizinische Zwecke entwickeltes Spezialmikrofon registriert ausschließlich Frequenzen des Überschallspektrums, die wiederum in ein akustisches Signal übersetzt werden. Drei Lautsprecher, die in den hohen Bögen der Kuppel hängen, füllen den Raum mit einem gedämpften Brummen. Ein wenig „intrigant“, freut sich Osborn, sei diese Installation schon geraten mit dem „big sound“ des „small thing“. Einige Besucher fühlen sich verängstigt an Luftangriffe erinnert. Der Installateur selbst lenkt beschwichtigend ein: Er habe eher das allgegenwärtige Motorenstampfen im Innern eines Schiffes vor Ohren gehabt.

Ed Osborn: „Flying Objects“, bis zum 10. Juni in der Parochialkirche, Klosterstraße 67, Mitte

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