Gefährlich wie ein Wirbelsturm

von INGO MALCHER

Wenn die Kamera wegschaut, verändert sich sein Gesicht. Die aufmerksamen Augen verwandeln sich in undurchdringliche Schlitze, die freundlichen Gesichtszüge entspannen sich wie bei einem Schauspieler in der Drehpause. Abwesend starrt er ins Weite, sein Gesicht wirkt grimmig und zornig. Sobald ihn die Objektive wieder ins Visier nehmen, schieben sich seine Mundwinkel nach oben, und er ist wieder der agile Kandidat. Er schüttelt Hände, klopft aufmunternd auf Schultern, umarmt Parteifreunde. „Alan“ lässt er sich nennen, der Nachname spielt nur auf dem Stimmzettel eine Rolle.

Alan García ist ein Profikandidat. Sie nannten ihn den „Schlangenbeschwörer“, als er von 1985 bis 1990 schon einmal Präsident Perus war. Er ist der Prototyp des lateinamerikanischen Caudillo. Ein Mann, als Redner so gefährlich wie ein Wirbelsturm. García beherrscht die Spielregeln des Politpokers und kann im richtigen Moment den richtigen Ton anschlagen. Er weiß, was die Menschen hören wollen. Mit dieser Mischung aus Opportunismus und Demagogie hat er beim ersten Wahlgang Anfang April einen Überraschungscoup gelandet und ist mit Bravour in die Stichwahl gegen Alejandro Toledo eingezogen. Das Rennen ist offen.

Der große Bluff

35 Jahre alt war er, als ihm im Jahr 1985 die rot-weiße Präsidentenschärpe umgelegt wurde. Jung und hungrig war er damals. In seiner Antrittsrede kündigte er „Demokratie und Sozialismus“ an. Seine Politik der Stärkung der nationalen Industrie ließ dann vor allem die Gruppe der einheimischen Unternehmer exzellente Geschäfte machen.

Fünf Jahre García-Regierung hat viele einflussreiche peruanische Familien saniert und eine Klasse von Neureichen hervorgebracht. Die priviligierten Peruaner konnten sich gutes Leben leisten im Land Garcías. Nicht zuletzt, weil er den US-Dollar als Zahlungsmittel subventionierte. Für im Ausland lebende Peruaner garantierte der Staat einen besseren Wechselkurs, als ihn die Banken boten, Exporteure und Importeure konnten ihre Gewinne ebenfalls zu bevorzugten Kursen tauschen.

García setzte sich gern in Szene. „Ein reiner Bluff“ war sein Versuch der Verstaatlichung des Bankensystems, sagt ein ehemaliger Berater heute. Denn zuvor hatte er mit dem Chef der größten Bank in seinem Büro die Aktion ausgekungelt. Zwar rammte ein Panzer eine Bankfiliale, um Garcías Befehl umzusetzen, doch bald stoppte ein Richter das Treiben. Das Ergebnis aber war bitter: Peru war unter García von ausländischen Kreditgebern abgeschnitten. Das sollte die reichen Familien des Landes nicht stören, glänzende Geschäfte zu machen. Korruption und Vetternwirtschaft erreichten in Peru unbekannte Auswüchse. Auch Garcia selbst verließ den Präsidentenpalast nicht mit leeren Taschen. Dafür kam die peruanische Wirtschaft zum Stillstand, und die Inflationsrate kletterte auf 7.600 Prozent.

Ziehkind Willy Brandts

García war das Ziehkind der europäischen Sozialdemokratie. Im Jahr 1986 tagte die Sozialistische Internationale auf Drängen Willy Brandts in Lima, um García die Ehre zu erweisen. Gleichzeitig meuterten in mehreren Haftanstalten die Gefangenen der maoistischen Guerilla „Leuchtender Pfad“. García kannte keine Gnade. Die Armee griff mit Panzerabwehrraketen an und erstickte den Aufstand. Mindestens 250 Gefangene kamen ums Leben, viele wurden mit Pistolenschüssen ermordet, nachdem sie sich ergeben hatten. Die Tagung der Sozialistischen Internationalen ging weiter. Brandt wollte García nicht fallen lassen, weil er einen Putsch wie in Chile fürchtete. Eine Fehleinschätzung.In der Delegation der aus Deutschland angereisten SPD habe sich einzig die heutige Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul für eine härtere Line gegen García eingesetzt, berichten ehemalige peruanische Regierungsmitglieder.

Nach fünf Jahren García lag das Land am Boden. Der ehemalige Hoffnungsträger verzichtete darauf, nochmals bei den Wahlen anzutreten. Sein Nachfolger Alberto Fujimori setzt die Staatsanwaltschaft auf ihn an. Geheime Konten tauchen auf, in der Schweiz, in Großbritannien und auf den Cayman Islands. In Italien sagte ein Unternehmer aus, er habe García über eine Million Dollar an Schmiergeldern überwiesen. Auch in den USA wird die Staatsanwaltschaft aktiv.

Es wurde eng für den Expräsidenten. Als Soldaten sein Haus stürmten, gelang ihm nur um Haaresbreite die Flucht. In Kolumbien erhielt er politisches Asyl, die meiste Zeit aber verbrachte er in Paris. Dort, so behauptet er, habe er sich einst als Soziologiestudent in den Cafés am Sacré-Coeur mit einer Gitarre das nötige Geld zum Leben ersungen. Das hatte er jetzt nicht mehr nötig – und wohl auch nicht damals, als Stipendiat der europäischen Sozialdemokratie hatte er ein gutes Auskommen.

Neun Jahre hat es gedauert, bis das Strafverfahren wegen Bereicherung im Amt eingestellt wurde. Tage später stand er im Januar am Flughafen von Lima und kündigte seine Bewerbung ums Präsidentenamt an. Öffentlich leistete er Abbitte: Er bereue seine Fehler der Vergangenheit und sei inzwischen „reifer und überlegter geworden“.

Seine Strategie war, als einziger Kandidat die soziale Situation in Peru zu kritisieren. Über die Hälfte der Peruaner leben in Armut, seit 1997 steckt das Land abermals in einer schlimmen Rezession, nur wenige stehen in stabilen Arbeitsverhältnissen. Diese Schicht der Unzufriedenen ist das Potenzial von García, und es ist die Mehrheit der Bevölkerung. „Er thematisiert das, was viele im Land beunruhigt, und das sind die enormen sozialen Gegensätze, damit ist es ihm gelungen, Stimmen zu fangen“, sagt der linke Parlamentsabgeordnete Javier Diez Canseco, der García noch aus den Tagen der Studentenbewegung kennt. Aber es sind nicht nur Garcías Taktik und Talent, die ihn für viele unwiderstehlich machen. Im Gegensatz zu seinem Konkurrenten Toledo verfügt er über eine intakte Parteiorganisation. Die 1924 gegründete sozialdemokratische Apra, seine Partei, ist die einzige, die das Fujimori-Jahrzehnt überstanden hat. Im ganzen Land hat sie Basisgruppen und erfahrene Aktivisten. Genau das zählte bei der Wahlkampagne.