Erster Sargnagel für AKW Temelín

Der deutsche Stromkonzern Eon will künftig keinen Strom mehr von dem Betreiber des umstrittenen tschechischen Atomkraftwerks beziehen. Der verliert dadurch rund 1,7 Millionen Mark. Umweltschützer hoffen nun auf das Aus für die Anlage

aus Prag ULRIKE BRAUN

In seinem umstrittenem Vorzeige-Atomkraftwerk Temelín geht so ziemlich alles schief. Und jetzt muss der tschechische Stromgigant CEZ noch einen schmerzhaften Exportverlust beklagen. Der deutsche Energiekonzern Eon, der in den vergangenen Jahren rund 4 Prozent der Gesamtproduktion abgenommen hatte, will keinen Strom mehr von der CEZ kaufen. Der Verlust wird auf rund 300 Millionen Kronen (1,7 Millionen Mark) geschätzt.

Während Eon über den Grund für den Ausstieg schweigt, legt die CEZ eine ungewöhnliche Offenheit an den Tag: Weil der Bereich Elektroenergetik zu politischen Spannungen zwischen Österreich, Deutschland und Tschechien geführt habe, habe sich Eon in einer komplizierten gesellschaftlichen Position wiedergefunden, so CEZ-Sprecher Ladislav Kriz. Für Eon, das sich in Deutschland als Vorkämpfer alternativer Energien gibt, war die Verbindung wohl vor allem ein geschäftliches Risiko: Umwelt- und Bauernverbände hatten mit Kampagnen zu Boykotten aufgerufen, ein Volksbegehren der Ökologisch Demokratischen Partei (ÖDP) war zumindest angekündigt (taz vom 15. 5.).

Kein Wunder, dass Umweltschützer in Deutschland und Österreich die Eon-Entscheidung bejubelten. „Das ist der erste Nagel im Sarg von Temelín“, freut sich Radko Pavlovec, Landesbeauftragter der oberösterreichischen Regierung für grenznahe Atomanlagen. Temelín verkomme zur totalen Sinnlosigkeit, frohlockte auch Greenpeace-Energieexperte Erwin Mayer.

Eon war der größte Exportkunde der CEZ, die fast 80 Prozent ihres Stroms nach Deutschland exportiert. Während die Anti-Atomlobby hofft, dass auch andere Abnehmer, wie RWE oder Enron, ihre Verträge kündigen, geben sich die Tschechen in Kampfeslaune. „Wir verhandeln mit möglichen Interessenten“, erklärte Sprecher Kriz, ohne Namen zu verraten.

Dass die Tschechen weiterhin ihr Auge auf den deutschen Markt werfen, ist für viele Beobachter klar. In Deutschland gibt es dutzende potenzielle Abnehmer. Gemunkelt wird, dass CEZ-Strom über verschiedene Zwischenmänner zurück zu Eon fließen kann und dort an andere Endkunden weiterverkauft wird.

Für die CEZ ist der Export ihrer Elektrizität wegen des Stromüberschusses auf dem heimischen Markt überlebensnotwendig. Schon ohne Temelín wurden im vergangenen Jahr fast 68.000 Gigawattstunden Strom produziert. Gerade deshalb sei Temelín überflüssig, argumentieren die Gegner des Kraftwerks. Für Tschechien ist der südböhmische Brüter aber eine Prestigefrages geworden.

Dabei läuft dort seit Monaten nichts mehr. Ein peinlicher Störfall folgt dem anderen. Die 1.000-Megawatt-Turbine musste seit ihrem ersten Probelauf ein halbes Dutzend Mal abgestellt werden. Auch der primäre Kreis des ersten Reaktorblocks hat seine Macken. Vergangene Woche floss der Reaktor buchstäblich über. Bei einer Kontrolle des Führungssystems glaubte ein Mitarbeiter, dem Reaktor mangele es an Wasser, und drehte den Hahn auf. 70.000 Liter radioaktiven Wassers traten aus. Sowohl in Temelín als auch im staatlichen Strahlenschutzamt spielte man diese Havarie herunter. Ein menschlicher Fehler ohne Einfluss auf die Kernsicherheit, erklärten beide Seiten einmütig.