Wenn Wasser trennt

„Eigentlich könnten wir gemeinsam in die Hände spucken, aber wir verstehen uns nicht. Und nicht nur rein sprachlich“

aus Gubin und Guben GABRIELE LESSER

Der Wetterhahn kreischt, als stünde der Weltuntergang bevor. Immer wieder wechselt der Sturm die Richtung. Im Wald rauscht es wie am Meer, die Kiefern und Birken ducken sich im Sturm, richten sich wieder auf, gehen erneut in die Knie. Auf dem Feuerwachturm von Brody (Pförten) an der polnischen Grenze zu Brandenburg steht Paweł Mrowiński und winkt beruhigend ab: „Heute besteht keine Brandgefahr. In den letzten Tagen hat es hier viel geregnet.“

Dennoch hebt der Förster kurz das Fernglas und sucht den Horizont ab. „Da drüben, hinter der Lausitzer Neiße, liegt Forst, dort liegt Guben und ganz dahinten Berlin“, erklärt er die Topografie rund um den 40 Meter hohen Turm. In den Wäldern der Euroregion Spree-Neiße-Bober brennt es rund 1.000 Mal im Jahr, so oft wie nirgends sonst in Europa. 1993 brannten allein im Bereich der Oberförsterei Guben über 430 Hektar Wald ab, auf der polnischen Seite verwandelte 1992 ein Großbrand 588 Hektar Wald in eine Mondlandschaft.

Der Feuerwachturm in Brody ist der erste nach dem Zweiten Weltkrieg in Polen gebaute Turm, der nicht nur dem Feuerschutz, sondern auch der Natur- und Waldbildung dient. Finanziert hat ihn unter anderem die EU. „Wir sind das ganze Jahr über ausgebucht“, freut sich Mrowiński, der seit 1998 zusammen mit seiner Frau Ilona ein ökologisches Bildungszentrum leitet. „Der Turm ist für große und kleine Waldfreunde eine große Attraktion“, erzählt er. „Doch wir bieten wesentlich mehr. Wir haben einen multimedialen Vortragssaal, wo wir Filme und Dias zeigen können. Das Lernen bei uns soll Spaß machen.“

Im Forsthaus gibt es vier kleine Ausstellungssäle mit Zapfen, Blättern und Tiermodellen zum Anfassen. „Hier erklären wir das Waldökosystem und die Hauptgefahren für den Wald: Feuer und Insektenplagen.“ Dann gibt es noch einen Waldlehrpfad, auf dem es Tierfährten zu entdecken gilt, giftige Pilze von essbaren unterschieden werden müssen und die Geräusche des Waldes zu deuten sind. „Wir bereiten nun alles für deutsche Besucher vor. Sobald die polnischen und deutschen Radwege miteinander verbunden sind, kommen sicher viele Radwanderer hier vorbei.“

Auch jenseits der Neiße werden Wanderer und Pilzsammler nicht mehr als potenzielle Brandstifter gesehen, sondern als Waldfreunde, die den Förstern sogar helfen können, den Wald zu schützen. „Und die Zusammenarbeit mit den Polen klappt prima“, lobt Forstdirektor Siegfried Lüdecke aus Peitz die Kollegen in Zielona Góra (Grünberg). „Die lernen von uns, wir von denen. Die Polen haben die Waldinformationstafeln besser gestaltet als wir. Überhaupt haben sie mehr Erfahrung in der Bildungsarbeit, dafür testen wir nun ein automatisches Waldbrand-Früherkennungssystem. Sollte es funktionieren, können die Polen es im Rahmen des ‚Euroforst‘-Programms auch einführen.“

40 Aktenordner EU-Formulare

Das einzige Problem, meint Lüdecke, sei neben den fehlenden Sprachkenntnissen der bürokratische Aufwand. Kein einziges Euroregionsprogramm könne gemeinsam finanziert werden. Während die Deutschen ihre Projekte im „Interreg II“-Programm realisieren, müssen die Polen ihre Projekte im Rahmen des „Cross-Border Cooperation“-Programms „Phare“ beantragen. „Wir entwickeln also ein gemeinsames Programm, dann teilen wir es, um getrennt voneinander Berge von Formularen nach Brüssel zu schicken, die dort dann wieder auf ihre Übereinstimmung geprüft werden.“ Forstdirektor Lüdecke stöhnt. Seit Beginn der Zusammenarbeit in der Euroregion habe allein das Amt für Forstwirtschaft Peitz 40 Aktenordner EU-Formulare ausgefüllt.

In Zielona Góra stöhnt auch Czesław Fiedorowicz. Der Sejm-Abgeordnete, der immer zwischen Warschau und seiner Stadt im Westen des Landes pendelt, ist Vorsitzender der Euroregion Spree-Neiße-Bober auf polnischer Seite. Vor einem Jahr erhielt der Politiker zusammen mit dem Gubener Bürgermeister Gottfried Hain das Bundesverdienstkreuz. Er stöhnt, weil „die Bürokraten in Brüssel nur ihre Vorschriften und Formulare kennen, nicht aber die Probleme der Menschen in den Grenzgebieten“.

Fiedorowicz ist es zu verdanken, dass das erste gemeinsame Projekt der seit 1945 geteilten Stadt Guben/Gubin überhaupt realisiert werden konnte. Ein gemeinsames Klärwerk fanden zwar alle sinnvoll. Da es aber auf polnischer Seite entstehen sollte, also außerhalb der EU, sah sich Brüssel außerstande, für den polnischen Teil des Projekts Zuschüsse aus dem Interreg-II-Programm zu bewilligen, da dieses nur EU-Mitgliedern zusteht. Dass die Stadt Guben ihre Abwässer jenseits der Grenze klären würde und diese Lösung weitaus günstiger sei, als ein zweites Klärwerk auf deutscher Seite zu bauen, interessierte in Brüssel nicht. „Am Ende hat es dann doch geklappt, die Bundesregierung und das Land Brandenburg haben die fehlende Summe zugeschossen. Aber es stand auf Messers Schneide“, sagt Fiedorowicz. „Und unsere Begeisterung für die gerade erst gegründete Euroregion hatte einen Dämpfer bekommen.“

Die Zusammenarbeit war und ist bis heute schwierig. Nicht auf höchster Ebene, da verstehen sich alle ganz hervorragend, sind miteinander befreundet, feiern gemeinsam und trauern auch gemeinsam. Etwa wenn in Gubin wieder ein Deutscher zusammengeschlagen wurde oder in Guben ein Pole, wenn Rechtsradikale auf der einen oder der anderen Seite grölend durch die Stadt ziehen und Hass auf die jeweiligen Nachbarn säen. Czesław Fiedorowicz, dessen Eltern nach dem Krieg aus Ostpolen vertrieben wurden, stand schon als kleiner Junge an der deutsch-polnischen Grenze und winkte den Kindern auf der anderen Seite zu. „Die Öffnung war für mich persönlich ein großes Ereignis. Ich habe mich von Anfang an für die Zusammenarbeit eingesetzt.“

Angst vor einem „Wasserkrieg“

Der 43-jährige Abgeordnete, der für die liberale Freiheitsunion (UW) im Parlament sitzt, wirft einen Blick durch die Glastür seines Büros. Im Vorzimmer warten schon einige Leute, die ihn dringend sprechen möchten. Er öffnet kurz die Tür, bittet um noch ein paar Minuten Geduld und deutet viel sagend auf den frisch gebrühten Kaffee: „Bitte, nehmen Sie sich doch eine Tasse.“

Zurück am kleinen Konferenztisch sagt er: „Es ist sehr schwer. Wir haben auf beiden Seiten eine große Arbeitslosigkeit. Eigentlich könnten wir gemeinsam in die Hände spucken, gemeinsam etwas aufbauen, aber wir verstehen uns nicht. Und das nicht nur rein sprachlich.“ Zwar hätten die Polen verstanden, dass es am Vortag des EU-Beitritts noch viel zu lernen gelte, und strengten sich an, die verlorene Zeit aufzuholen. Aber auf der deutschen Seite sehe man auch das eher mit Misstrauen. „Viele Deutsche sehen hier keine Zukunft mehr für sich. Sie orientieren sich nach Westen und ziehen weg. In manchen Stadtteilen von Guben wohnt kaum noch jemand.“

Diese Problem habe die polnische Grenzregion bislang nicht gehabt, doch Fiedorowicz fürchtet, dass der bevorstehende „Wasserkrieg“ zwischen den Deutschen und den Polen eine regelrechte Wegzugswelle auslösen könnte. Die stillgelegten Braunkohletagebaugebiete in der Lausitz sollen in eine idyllische Seenlandschaft verwandelt werden. Da allein das Grundwasser zu sauer wäre, um der Natur eine Chance zu geben, sich zu erholen, wird schon seit einigen Jahren Wasser aus der Spree abgepumpt. „Und nun“, empört sich Fiedorowicz, „führt die Spree so wenig Wasser, dass die Neiße angepumpt werden soll, um die Spree aufzufüllen. Woher wir dann das Wasser nehmen sollen, fragt sich drüben offensichtlich niemand.“

In Guben spielt Helmut Moelle, Gründungsmitglied der Euroregion Spree-Neiße-Bober und Landrat im Spree-Neiße-Kreis, etwas verlegen mit dem Kugelschreiber. „Ich glaube, die Neiße wird schon angepumpt. Weiß das Fiedorowicz nicht? Berlin und Warschau haben sich längst geeinigt. Es gibt keine Alternative.“ Denn wenn die Spree so wenig Wasser führe, dass sie nicht mehr fließt, sondern, wie im letzten Jahr geschehen, stehen bleibt oder sogar zurückfließt, würde sich das Trinkwasser, das Berlin aus der Spree gewinnt, mit dem Abwasser aus der Kanalisation vermengen, das weiter oben eingeleitet würde.

Moelle, dem viel an der Euroregion und der Zusammenarbeit mit den Polen liegt, wirkt bedrückt. „Durch das Abpumpen des Neißewassers wird der Grundwasserspiegel auf polnischer Seite weiter sinken. Die Brunnen werden kein Wasser mehr führen. Die Menschen dort müssen sich wohl darauf einstellen, dass es künftig Wasser nur noch aus dem Wasserhahn geben wird.“

Bedrückt ist auch Beata Buchowicz. Sie leitet das Büro der Euroregion im polnischen Gubin und ist für die praktische Abwicklung der Projekte verantwortlich. Sie hebt einen schweren Aktenordner auf den Schreibtisch. „Das ist die Expertise Professor Dubickis vom Institut für Metereologie und Wasserwirtschaft in Wrocław. Insgesamt sind es vier Ordner. Das ist nur die Kurzfassung.“ Beata Buchowicz seufzt. Die Breslauer Expertise sei im April abgeschlossen worden. Sie selbst habe den Ordner erst vor einer guten Woche erhalten. „Es kann doch nicht sein, dass die in Warschau das alles schon entschieden haben. Das Abpumpen der Neiße würde doch unseren Lebensnerv treffen. Das müssen sie uns doch sagen, oder?“