„Herstory“ – ohne Geschichte

Alice Schwarzer warb einst für das Recht der Frauen auf Selbstbestimmung nicht Mitleid heischend, sondern emanzipatorisch. Heute ist sie berühmt – aber wofür steht sie noch?

Wenn Repräsentantinnen auf dem Weg nach oben Skrupel abhanden kommen, ist die Bewegung am Ende

Alice Schwarzer hat in der aktuellen Emma den 6. Juni zum Geschichtstag der neuen deutschen Frauenbewegung erklärt. Denn vor 30 Jahren, am 6. Juni 1971, hatte Alice Schwarzer im Stern 374 Frauen mit großem Aufwand an Überzeugungkraft zur Selbstbezichtigung „Wir haben abgetrieben!“ gewinnen können. Sie hatte die Idee der öffentlichen Abtreibungsselbstbezichtigung aus Frankreich importiert, wo zuvor am 5. April 343 Frauen im Nouvel Observateur genau das Gleiche gewagt hatten.

Noch im Rückblick erstaunt, wie schnell Alice Schwarzer diese großartige Aktion gelungen ist. Nur einer Person mit ihrem Mut, mit ihrer Energie und auch mit ihrem Charme konnte dieses Vorhaben so schnell glücken. Tatsächlich war diese Öffentlichmachung der Realität bahnbrechend für die Debatte über die Selbstbestimmung der Frauen. Das Private wurde politisch. Zwar hatten studentische Frauengruppen schon vorher Anti-§-218-Arbeit geleistet, aber Alice Schwarzer gelang es ganz anders, die Massen der Frauen zu erreichen. Von Anfang verstand sie es,die Gier der Massenmedien nach Verkaufsquote mit dem Anliegen der §-218-geschädigten Frauen aufs Beste zu verbinden. Schließlich betraf das Problem des Kinderkriegens die Frauen aller Klassen, auch wenn natürlich schon damals die Frauen der höheren Schichten sich besser aus Notsituationen zu helfen wussten. Dennoch war die Situation für alle Frauen entwürdigend und machte Angst.

Alice Schwarzer warb nicht Mitleid heischend für das Recht der Frauen auf Selbstbestimmung, sondern repräsentierte sie emanzipatorisch und mitreißend. Dafür verdient sie wirklich alle Achtung und Anerkennung. Es gab nach ihren Fernsehauftritten zum § 218 kein Frauenzentrum mehr ohne §-218-Gruppen, die ganz praktisch Beratung machten und Bustouren nach Holland organisierten, wo Frauen bereits damals legal abtreiben konnten.

Es folgte der Megaerfolg ihres Interviewbuches „Der kleine Unterschied und seine großen Folgen“. Er machte deutlich, wie sehr sich die Frauen durch die aufmunternden Fragen tatsächlich aufgemuntert fühlten und sich nicht mehr an den Erwartungen der Männer allein orientieren wollten. Mit dem Gewinn des Buches etablierte Alice Schwarzer die Zeitschrift Emma und wurde deren Herausgeberin und Chefredakteurin. Schnell entwickelte sie sich zur Madame Feminista der damaligen BRD-Medien. Wenn es um Frauen ging, war sie diejenige, die griffig und schlagfertig den Männern Paroli bot, auch wenn sie vom Thema so viel oder so wenig verstand wie die ihr gegenüber platzierten Männer. Vielen Kerlen, die in Talkshows ihre Ignoranz oder ihr Machotum demonstrieren wollten, vereitelte sie die Schau. Dafür wurde sie auch von denen gefeiert, die sich nicht von ihr repräsentiert fühlten.

Doch wie viele Stars einer (sozialen) Bewegung, verfiel auch sie der Verführung durch die Massenmedien, ein Star zu sein. Der Auftrag der sozialen Bewegungen geht immer an die Eloquenten, und immer sind diese gefährdet, ihrer notwendigen Eitelkeit zu verfallen. Dabei geholfen wird ihnen von den Massenmedien, die – anstatt ihre Politik zu vermitteln – ihre Personalien verkaufen. Was im etablierten Politikbusiness as usual ist, ist für emanzipatorische Oppositionsbewegungen jedoch fatal. Wenn die Intelligenz der Grundsätze und Skrupel den Repräsentantinnen auf ihrem Weg nach oben abhanden kommen, ist es mit der Bewegtheit der Bewegungen ganz schnell zu Ende.

Alice Schwarzer ist der öffentliche Umgang mit Ministerinnen am liebsten, ganz gleich ob SPD oder CDU, Hauptsache Top-Frau. Die dürfen dann auch ganz auf Gratisfeminismus machen, wie vor ein paar Jahren beim Emma-Kongress über Simone de Beauvoir geschehen. Die Karrierefeministinnen sehen natürlich auch keinen inhaltlichen Diskussionsbedarf jenseits des Frauenpowergetues. Warum sollten die Aktivistinnen einer immerzu beschworenen Frauenbewegung Karrierefrauen zujubeln, denen ihre persönliche Sicherheit im Status quo immer wichtiger ist als die Sicherheitspolitik für die von ihnen Aufgerufenen? Nur ein Beispiel: Erst als die Rentenreform von Riester mit dem Gedöns-Kanzler auf Kosten der Frauen abgekaspert war, meldete sich viel zu spät ein Allparteienaufruf – auch der Regierungsparteifrauen mit Emma –, um gegen eine Rentenpolitik zu protestieren, nachdem sie vorher überhaupt nicht dagegen aufgemuckt hatten. So bleiben die Frauenpolitikerinnen parteilich, ohne ihre Parteien kritisieren zu müssen. Was hat das mit Feminismus zu tun?

Auch mit der Sonntagsmoderatorin Sabine Christiansen ist Alice Schwarzer im regelmäßigen Gedankenaustausch, um zu „netzwerken“, wie sie jüngst in einem Interview bekannt gab. Das Ergebnis darf jeden Sonntagabend bewundert werden. Abgesehen von ihr selbst ansonsten fast frauenfrei und inhaltlich immer auf aktuellem Regierungsstand, präsentiert Sabine Christiansen nichts mehr als den Prominentenstadl der Nation. Der Blaue Bock auf Mineralwasserbasis und genauso einschläfernd. So langweilig kann Alice Schwarzer nicht als Beratende sein, dass so wenig von ihrer Beratung deutlich wird, möchte man meinen. Also geht es im spitzenpolitischen Netzwerk um nichts mehr als ums Dabeisein.

Vor kurzem ist Alice Schwarzer von Alexander Kluge und bald darauf von Günter Gaus im Fernsehen interviewt worden. Zwei vertane Chancen, der Nachwelt mehr vom Feminismus zu erzählen. Kluge, der ohnehin nur am liebsten seiner eigenen Märchenstimme lauscht, interessierte sich überhaupt nicht für seine Gesprächspartnerin. Er redete von der Antike und ihren theatralischen Frauengestalten, während Alice Schwarzer tunlichst aufpasste, sich nicht mit dieser Hohlkultur anzulegen. Günter Gaus, der sich zumindest auf die bekannteste Vertreterin der Frauenbewegung eingelassen hatte, folgte allerdings sträflich naiv ihrer Darstellung von der verfolgten Unschuld, was mangelnde Frauensolidarität betrifft. Haben die anderen Feministinnen keine Namen? Verschwinden sie alle in der hin und herwogenden Frauenbewegung?

Schwarzer wurde kürzlich von Gaus interviewt: Eine vertane Chance, den Feminismus zu erklären

Wenn Alice Schwarzer, wie geschehen, eher ihre Solidarität mit „Angela Merkels frischem Zugriff auf Themen“ verrät, dann ist es wohl an der Zeit, wieder etwas inhaltlicher zu werden. Was ist mit der Solidarität für Lesben und Schwule, denen Angela Merkel in einem Grundsatzartikel (Welt am 3. 4. 01) die Gleichstellung verfassungspolitisch verweigert? Ist das kein Problem für Alice Schwarzer?

Wenn sie in der aktuellen Emma, durchaus in Allianz mit ignoranten 68ern, über die 68erinnen meint: „Die hießen ‚Weiberräte‘ oder ‚Rote Frauen‘, hatten 1968 mal eine Tomate an den Kopf eines 68er-Gurus geworfen, waren vom Studentenprotest der Apo übrig geblieben“, betreibt sie, besser wissend, feministische Geschichtsverdrängung. Das macht es vielen Feministinnen nicht einfach, ihr zu ihrem Erfolg zu gratulieren. Dennoch herzlichen Glückwunsch!

HALINA BENDKOWSKI