Steueroasen nur noch für Multis

Von der hochgelobten gigantischen Steuersenkung der Regierung von George Bush haben drei Viertel der US-Bürger wenig bis nichts, gesenkt wurden nur die oberen Tarife. Dagegen werden sie die Folgen der Mindereinnahmen am stärksten spüren

Immer höhere Erbschaften werden steuerfrei gestellt. Davon profitieren bestenfalls zwei Prozent aller Erben

von WERNER RÜGEMER

Steuerpolitik war ein zentrales Wahlkampfthema von US-Präsident George Bush. Und tatsächlich hat er zwei Steuermaßnahmen an den Anfang seiner Regierungszeit gestellt. Zunächst kündigte die neue Regierung an, dass sie aus der OECD- Initiative zur Bekämpfung von Steuerflucht und Steueroasen aussteigt. Dann beschloss sie Ende Mai das größte Steuersenkungsprogramm seit der Reagan-Ära. Beide Maßnahmen hängen eng zusammen und sind widersprüchlicher als von Regierung, Opposition und Medien dargestellt.

Schon zum 1. Juli wird das im Mai beschlossene Steuergesetz wirksam – so schnell wie keines vorher. 95 Millionen US-Bürger sollen im Sommer einen Scheck ihres Finanzamts mit einer Rückzahlung von maximal 300 Dollar für Singles, 500 Dollar für Singles mit Kindern und 600 Dollar für Paare bekommen, eine einmalige fünfprozentige Steuererstattung auf die ersten 6.000, 10.000 bzw. 12.000 Dollar ihres Einkommens. Mit diesem Coup hatte Bush auch Mitglieder der demokratischen Opposition gewinnen können, für sein Gesamtpaket zu stimmen.

Die eigentlichen Steuergeschenke sind umfangreicher und langfristiger: Der Spitzensteuersatz auf individuelle und Familieneinkommen wird bis zum Jahr 2006 von 39,6 auf 35 Prozent herabgesetzt. Auch die folgenden Steuersätze werden um jeweils drei Prozent ermäßigt: von 36 auf 33 Prozent, von 31 auf 28 Prozent, von 28 auf 25 Prozent. Für drei Viertel der US-Steuerzahler ändert sich hier jedoch überhaupt nichts: Sie wurden bisher mit 15 Prozent besteuert, und dieser Steuertarif bleibt gleich. Außer der möglichen Einmal-Erstattung in diesem Sommer haben sie nichts von der Senkung der Steuersätze.

Auch die weiteren Steuergeschenke fürs Volk sind bescheiden: Der jährliche Kinderfreibetrag von 500 Dollar wird im nächsten Jahrzehnt schrittweise auf 1.000 Dollar angehoben. Der steuerbegünstigte Betrag für die private Rentenvorsorge wird von 2.000 auf 5.000 Dollar erhöht. Das sieht bei hohem Einkommen schon besser aus. Bisher sind bei einer Erbschaft 675.000 Dollar steuerfrei. Dieser Betrag wird auf eine Million erhöht, ab 2009 sogar auf 3,5 Millionen. Davon profitieren bestenfalls zwei Prozent aller Erben. Hingegen werden die ärmeren Schichten die Folgen am meisten spüren, denn die Steuerverluste reißen vor allem in die Budgets der Einzelstaaten und Kommunen Löcher. Die in Washington ansässige Bürgerinitiative „Citizens for Tax Justice“ hat ausgerechnet, dass „ein Prozent der Steuerzahler in den Genuss von 25 Prozent aller Steuersenkungen“ kommt.

Die wesentlichen Steuererleichterungen für die besser Verdienenden und die Konzerne wurden außerhalb des Gesetzes beschlossen. Auf Druck der Leasing-, Versicherungs- und Immobilienlobby wurden in den letzten Jahren zahlreiche Ausgaben steuerlich bevorzugt behandelt, Gewinne wurden steuerfrei gestellt.

Das gilt etwa für Mieteinnahmen: 2.900 Dollar pro Jahr sind steuerfrei. Das hat zu einem Boom der Immobilienfonds geführt. Wer sich mit 30.000 bis 50.000 Dollar an einem Bürohaus beteiligt, kann seine anteiligen Mieteinnahmen steuerfrei kassieren. Das Gleiche gilt für die Zinsen aus Staatsanleihen. Viele Versicherungsleistungen und Gewinne von Versicherungsunternehmen sind steuerfrei, ebenso Stock-Options für Führungskräfte. Auch die Öl-, Gas-, Holz-, Kohle- und Energiebranchen haben Vergünstigungen erhalten.

Zusammengerechnet ergeben die Steuersenkungen 1,35 Billionen oder 1.350 Milliarden Dollar in zehn Jahren. Das sei leicht zu finanzieren, sagt Bush, denn die Steuerüberschüsse würden in den nächsten zehn Jahren 5,6 Billionen betragen. Richtig ist, dass die Steuereinnahmen seit 1998 höher als die Ausgaben sind und keine Neuverschuldung mehr nötig ist. Das Verteidigungsbudget wurde rigoros verringert. Unter George Bush, dem Vater des jetzigen Präsidenten, und unter Bill Clinton wurden die Steuern erhöht.

Aber erstens beruhen die Annahmen auf einer boomenden Wirtschaft, die es nun nicht mehr gibt; zweitens sind die USA immer noch der höchstverschuldete Staat der Welt; drittens stimmen die Angaben nicht so ganz: Denn die Hälfte der 5,6 Billionen sind gar keine Steuereinnahmen, sondern Mehreinnahmen der Rentenversicherung. „Das ist Steuerbetrug“, wettert Thomas Daschle, Demokrat aus South Dakota und künftiger Mehrheitsführer im Senat. Die Mehrheit der Demokraten tritt dafür ein, dass der Überschuss der Sozialversicherung den Versicherten selbst zugute kommt.

Wenn die Regierung sich aus der Bekämpfung von Steuerflucht zurückzieht, so gilt das nur hinsichtlich der 6.000 US-Multis, die ihre Exporte seit Jahrzehnten ganz regulär und steuerfrei über die Cayman Islands und die Bermudas abwickeln. Diese Exportsubventionierung will Bush keineswegs beenden, obwohl die USA sich damit nicht nur in der OECD, sondern auch in der Welthandelsorganisation WTO und gegenüber der EU isolieren. Doch Isolationismus ist für die Mannschaft des texanischen Ölmillionärs nichts Ehrenrühriges – im Gegenteil. So lässt Bush auch zu, dass US-Banken und Unternehmen über Steueroasen hunderte von milliardenschweren Abschreibungsprojekten mit europäischen Kommunen abwickeln. Köln, Leipzig, Zürich, Amsterdam und viele andere Städte übertragen für 24 bis 99 Jahre ihre Verkehrsbetriebe und Abwasserkanäle an Briefkastenfirmen auf den Cayman Islands und erhalten dafür einen kleinen Anteil der Steuervorteile, den die US-Unternehmen dadurch „erwirtschaften“.

Im Gegenzug werden die Banken in aller Welt zu Hilfsbeamten der US- Steuerbehörde gemacht, um von Ausländern die Quellensteuer auf US- Wertpapiere und Unternehmensanteile einzutreiben (taz vom 20. 2.). Sogar die Banken in den Ländern mit dem strengsten Bankgeheimnis wie Schweiz und Luxemburg füllen nun brav in vierfacher Ausfertigung Meldungen über alle Inhaber von US-Wertpapieren an den Internal Revenue Service, die US-Steuerbehörde, aus und überweisen die Quellensteuer von 31 Prozent zu Lasten ihrer Kunden nach Washington. Mit diesen jährlichen Milliardenbeträgen in dreistelliger Höhe hofft Bush die Steuergeschenke an seine einheimische Klientel zusätzlich abzusichern. Der Gerechtigkeit halber muss gesagt werden, dass diese Maßnahme bereits unter Clinton beschlossen wurde und seit dem 1. Januar 2001 gilt.