: Mein Embryo gehört mir?
von UTE SCHEUB
„Frauen, die nicht aus harten Gewissensgründen, sondern um der Bequemlichkeit des Wohlstandslebens willen am werdenden Leben schuldig geworden sind, rühmen sich öffentlich ihrer Verbrechen.“ So reagierte die Deutsche Bischofskonferenz auf die Selbstbezichtungsaktion von tausenden von Frauen, die am 3. Juni 1971 ihren Anfang im Stern genommen hatte. Abtreibende Frauen – für die Bischöfe, Chefredakteure und Fernsehkommentatoren von damals waren das nichts als egoistische Schlampen und Mörderinnen. Heute würde wohl nur noch der fundamentalistische Bischof Dyba, weilte er noch unter uns, solche Sätze als offizielles Statement zu formulieren wagen. Ein sicheres Indiz dafür, wie sehr sich wenigstens in dieser Hinsicht das gesellschaftliche Klima gewandelt hat.
„Wir haben abgetrieben“, verkündete eine Banderole auf dem legendären Stern-Titelbild. Insgesamt 374 Frauen bekannten sich dazu, die meisten von ihnen Hausfrauen, aber auch Schauspielerinnen wie Romy Schneider, Vera Tschechowa oder Senta Berger. „Klagt uns an, sperrt uns ein, wenn ihr den Mut dazu habt!“, forderten sie die Strafverfolger heraus. Ein Schwangerschaftsabbruch wurde nach der damaligen Fassung des Paragrafen 218 noch mit bis zu fünf Jahren Gefängnis bestraft (siehe Kasten).
Und tatsächlich gab es wenig später in München eine Razzia bei der „Aktion 218“, die auch nach dem Erscheinen des Stern weiterhin tausende Unterschriften sammelte. Dabei blieb es jedoch, denn der Justiz war die Angelegenheit ziemlich peinlich. Ein Landesjustizminister wurde im Stern folgendermaßen zitiert: „Sage ich, wir werden gegen die Frauen Anklage erheben, dann verliere ich einen großen Teil von meinen Wählern, vor allem Frauen. Sage ich, dass wir nicht reagieren, dann steht der ganze vermuffte Justizapparat gegen mich auf. Bitte lassen Sie mich aus der Sache heraus und nennen Sie meinen Namen nicht.“
Parole: „Mein Bauch gehört mir“
Die von Alice Schwarzer initiierte Kampagne im Stern war nicht die Geburtsstunde der neuen deutschen Frauenbewegung, wie sie sich in der aktuellen Emma selbst auf ihre Fahne schrieb. Aber es sei Schwarzer gerne zugestanden: Der neue Kampf gegen den alten 218 schuf endlich das, was die bereits 1968 erwachten Feministinnen immer noch am meisten entbehrten: eine Massenbasis. Er mobilisierte zehntausende, er schuf Aufbruchstimmung. Frauen riefen zum kollektiven Austritt aus der Kirche auf, demonstrierten in Amtsgerichten und auf der Straße mit Gefängniskugeln am Bein. Die Parole: „Mein Bauch gehört mir“ wurde berühmt. In autonomen Frauengruppen blieb nichts mehr unhinterfragt: Sexualität, Penetration, Männergewalt oder auch die leidigen Abwaschprobleme in Wohngemeinschaften. In Selbsterfahrungsgruppen diskutierte frau nächtelang die Frage, ob eine nackte Glühbirne überm Bett ähnlich wie der Vollmond den Zyklus steuern könnte, und schaute sich gegenseitig hochinteressiert in die Möse. Iih, wie komisch rot!
Geschichte. Heutzutage schauen sich die jungen Frauen gemeinsam die Bilanzen von Start-ups an – iih, wie komisch rot! – oder gründen ein Netzwerk für Managerinnen. Die dringlichsten der von der neuen Frauenbewegung formulierten Probleme scheinen erledigt: Abtreibung ist straffrei, auch wenn die Gebärpflicht formal immer noch besteht. Häusliche Gewalttäter werden bestraft, wenn auch nur manchmal. Familie und Beruf sind vereinbar, zumindest im Prinzip. Die Homoehe wird erlaubt, wenn auch als Ehe zweiter Klasse. Also alle halbwegs zufrieden?
So kommt es, dass die jetzige Debatte um die genetische Ausweitung der weiblichen Reproduktionsfähigkeit viele Feministinnen so gänzlich unvorbereitet trifft. Dabei tun sich, wie sich in der Bundestagsdebatte um Präimplantationsdiagnostik (PID) und Embryonenforschung zeigte, die seltsamsten Koalitionen auf. Bis auf die einsamen Radikalen von der FDP, die den Embryonenverbrauch gänzlich deregulieren wollen, zeigten sich alle Parteien zutiefst gespalten, nicht einmal entlang der Geschlechterlinie waren Gemeinsamkeiten sichtbar.
Für die große Mehrheit der CDU/CSU-Abgeordneten und der Bündnisgrünen indes ist die Menschenwürde des Embryos unantastbar. Wie aber verträgt sich das mit der geltenden Abtreibungsregelung? Wie kann man einerseits das Leben von Anbeginn schützen wollen und andererseits Abtreibungen bis kurz vor der Geburt ermöglichen, wenn der Fötus laut pränataler Diagnostik einen Genschaden aufweist? Wie kann man dann das Verhütungsmittel Spirale erlauben, die einen zu schützenden Embryo an der Einnistung hindert?
Für Rita Grieshaber (Grüne) und Pia Maier (PDS) war der Verweis auf das geltende Abtreibungsgesetz denn auch der Grund, warum sie den Gencheck im Reagenzglas denn doch befürworteten. Eine PID an einem winzigen Zellhaufen sei weniger belastend als die Spätabtreibung eines spürbar lebendigen Fötus, argumentierten sie (wobei Hubert Hüppe von der CDU auf eine Studie hinwies, wonach weltweit neun Prozent der PID-behandelten Föten wegen später entdeckter „Schäden“ oder drohender Mehrlingsgeburten doch wieder abgetrieben wurden). Andrea Fischer (Grüne) hingegen wollte die „zweifelhafte Praxis der pränatalen Diagnostik“ mittels PID „nicht auch noch vereinfachen“. Fischer und auch einige Abgeordnete von CDU, SPD und PDS zogen in der Debatte einen dicken Trennungsstrich zwischen Paragraf 218 und PID: Eine ungewollte Schwangerschaft sei durch den existenziellen Konflikt zwischen den Lebensinteressen von Frau und Fötus geprägt, den es bei der PID einfach nicht gäbe.
Menschenwürde in Portionen
Beide Positionen sind in sich logisch und doch auch angreifbar. Es erscheint ziemlich lächerlich, einem fünf Tage alten Zellhaufen die volle Menschenwürde zuzusprechen. Und wenn man glaubt, „das Leben an sich“ – nach Ivan Illich ein reines Ideologem – schützen zu müssen, dann müssten Spiralenbenutzerinnen in der Tat sofort als Kindsmörderinnen verhaftet werden. Aber ebenso lächerlich erscheint es, den Schutz des Grundgesetzes qua Parlamentsbeschluss portionsweise vergeben zu wollen: ein Viertel ab Zeugung, ein Viertel ab Einnistung, den Rest bei der Geburt oder wie?
Trefflich lässt sich auch darüber streiten, ob PID der weiblichen Selbstbestimmung nutzt oder ein neues Instrument der Fremdbestimmung durch die medizinische Expertokratie ist. Ich neige zwar zu letzterer Ansicht, würde es aber nicht wagen, anderen Frauen vorzuschreiben, sie hätten auch so zu empfinden. Beunruhigung, Aufruhr, Debatten sind angesagt. Die grüne Bundestagsabgeordnete Monika Knoche hat Recht mit ihrer Bemerkung, die Gentechnik stelle eine Frauenfrage, „wie sie noch nie war“.
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