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in fußballlandCHRISTOPH BIERMANN über Spiele in Nou Camp

Den kleinen Finger abgespreizt

Es ist nicht irgendein Spiel, obwohl nur der Viertletzte ins Stadion Nou Camp gereist ist. Der FC Barcelona braucht den Sieg nämlich dringend, um sich am Ende einer ziemlich verkorksten Saison wenigstens noch auf den vierten Platz zu retten und damit zumindest in die Qualifikation zur Champions League. Doch um die riesige Betonschüssel herum ist kaum etwas von der vibrierenden Anspannung vor einer wichtigen Partie zu spüren. Fast 70.000 Zuschauer werden am Ende da sein, doch ihr Kommen hat man kaum bemerkt. Sie machen keinen Zwischenstopp in den umliegenden Bars, wo sich nur Touristen aus England, Holland oder Deutschland mit Tapas die Zeit vertreiben und zu wundern beginnen.

Der FC Barcelona zieht eine bestimmte Art von Sympathie an, vergleichbar mit der für Glasgow Celtic oder, in bescheidenerer Dimension, Union Berlin zu Zeiten der DDR. Diese Klubs haben über den Fußballplatz hinaus den Trotz der Unterdrückten repräsentiert, die im politischen Leben dazu keine Möglichkeit hatten, ihnen gegenüber fußballerische Antipoden, die für das Regime der Herrschenden standen. Im Fall des katalanischen FC Barcelona war es das zentralistisch-franquistische Real Madrid, dem katholisch-irischen Celtic FC standen die protestantisch-royalistischen Rangers gegenüber, und im Fall des halb dissidenten FC Union waren es Erich Mielkes Lieblinge vom BFC Dynamo Berlin. So eine Konstellation bietet selbst aus der Ferne prächtige Identifikationsmöglichkeiten, nicht zuletzt, weil man darauf starke Emotionen projizieren kann.

Von daher ist der Besuch im Stadion Nou Camp ein Schock. Zunächst einmal auch eine angenehme Überraschung, weil Fußball hier noch in einer von vielen Erscheinungen des Unterhaltungsindustrie freien Form begangen wird. Man braucht einen Moment, um zu erkennen, was anders ist. Nicht nur das Stadion außen, auch die höher gelegenen Umrandungen der vielgeschossigen Arena innen sind werbefrei. Das ist puristisch, wo anderswo fast alle Winkel vermarktet sind, inzwischen bis zu den Namen einzelner Tribünen oder gleich ganzer Stadien, um noch mehr Geld zu generieren.

Außerdem ist es leise. Auch eine halbe Stunde vor Anpfiff wird aus den gigantischen Boxen unter dem Dach der Tribüne keine Musik gespielt. Die Werbung auf der Anzeigetafel läuft stumm. Erst als die Spieler nach dem Warmmachen nun zum zweiten Mal auf den Platz laufen, um mit dem Spiel zu beginnen, ertönt gleich einer Nationalhymne das Vereinslied. Die Zeit bis dahin haben auch die Fans nicht genutzt, um sich mit Gesängen oder Sprechchören einzustimmen; nicht einmal die Boixos Nois hinter dem einen noch die Almogavers hinter dem anderen Tor, die sich als die fanatischsten Culés von Barça verstehen. Daran wird sich auch während des Spiels nichts ändern. Wahrscheinlich würden sie sogar von den Anhängern der Spielvereinigung Unterhaching problemlos niedergesungen.

Auch die empörende Leistung ihrer Mannschaft ändert an der moderaten Stimmung nichts. Nou Camp, so wird gern kolportiert, ist ein Tollhaus, wenn Real Madrid kommt. Ansonsten jedoch schaukeln die Emotionen des Publikums ungefähr so hoch, wie bei einer Premiere von Tschechows „Die Möwe“, spottet mein Begleiter. Selbst das Halbfinalspiel im Fuji-Cup würde in Deutschland mehr Emotionen freisetzen.

In Nou Camp wird Fußball mit abgespreiztem kleinem Finger geschaut. Der Klub und sein Publikum geben sich so vornehm, dass sie selbst den Luxusschrott, den ihr mit Rivaldo, Kluivert, Overmars oder Luis Enrique hinreißend besetztes, aber völlig zusammenhangloses Ensemble abliefert, nur mit befremdetem Hüsteln quittieren. Emotionale Ausbrüche sind in nur einem Moment wieder unter Kontrolle, und selbst das Pfeifkonzert nach der Niederlage gegen den Abstiegskandidaten fällt nur kurz aus. Dann erheben sich die Besucher, verlassen das Theater so unauffällig, wie sie gekommen sind, und die Bars rund ums Stadion gehören wieder den Touristen, die um eine Verwunderung reicher sind.

Fotohinweis: Christoph Biermann, 40, liebt Fußball und schreibt darüber.

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