Tanz im Cyberspace

■ Im Stück „@Kontakt“ finden Chat und Bühnengeschehen nicht zueinander

http: //www.radiobremen.de/chat. Mittwoch Abend. Mistoffelees betritt den Raum, sagt Hallo zu Grisabella und TerranzaTanzkompanie und fängt an, mit den beiden zu plauschen:

(Grisabella) Ich kann leider nur popowackeln in der disco ;)

(TerranzaTanzkompanie) Ja, es braucht viel Training, um Verbindungen von Bewegung und Kompositionen im Körper zu legen. Wir haben heute Premiere in der Kesselhalle, und alle sind schrecklich aufgeregt.

(Grisabella) ohoho, klingt ja kompliziert!

(TerranzaTanzkompanie) In sieben Minuten geht's los.

TerranzaTanzkompanie alias Petra Thielebein lässt Grisabella und Mistoffelees alleine. Sie muss arbeiten, im Lichthäuschen. Die Bühne in der Kesselhalle des Schlachthofs ist schwarz. Am linken Rand steht ein kleines Tischchen mit Lampe und Laptop. Ein Videobeamer wirft die Chat-Unterhaltung auf dem Bildschirm auf eine mehr als mannsgroße Leinwand.

Dann springen sie im Dunkeln auf die Bühne: Sieben junge Tänzerinnnen mit hellblauen Tüchern um Hüfte, Bauch und Schultern. Eigentlich sind SIE TerranzaTanzkompanie, ein außerschulisches Jugendtanztheater-Projekt unter der Leitung der Choreographin Petra Thielebein. „@Kontakt“ heißt das Stück – deshalb der Videobeamer und die Leinwand und Mistoffelees. Die Tänzerinnen sind barfuß. Sohlen rutschen über den Boden, Arme schwingen, Gummikörper. Und das zu Rhythmen von Massive Attack – unter anderem.

(Mistoffelees) Hast du ein Vorbild, Terra?

(TerranzaTanzkompanie) Mein Vorbild ist Marilyn.

(Mistoffelees) Marilyn wie Monroe?

(TerranzaTanzkompanie) Ja, sie war doch toll, oder? ;)

Es geht um Menschen und darum, wie sie gerne sein möchten im tanzwerk-Projekt „@Kontakt“. Die Tänzerinnen sitzen abwechselnd am Laptop und chatten live im Radio Bremen-Chat. Daneben tanzen andere ihre Soli. Sie bewegen sich zwischen Cyberspace und Realität, kreieren sich eine eigene Traumwelt, in der sie einmal schüchtern, dann wieder forsch und mutig auftreten. Genau wie im Chat, in dem man nie seine wirkliche Identität preisgeben muss, sondern unerkannt in jede beliebige Rolle schlüpfen kann.

Gerade das Nebeneinander von Tanz und virtueller Unterhaltung ist allerdings ein Problem des Stücks. Der Zuschauer muss zweigleisig fahren. Die Konzentration auf die Tänzerinnen legen oder die Chat-Unterhaltung mitverfolgen. Tanz oder Chat? Ein ziemlich harter Sprung vom einen zum anderen. Keiner achtet auf das Marilyn-Solo, wenn im Chat gerade geflirtet wird. Keiner achtet auf die philosophischen Phrasen im Chat, wenn sich auf der Bühne ein Mädchen bauchfrei, mit Schmollmund und stechendem Blick, zur Schau stellt.

Tänzerisch ist „@Kontakt“ sehr gelungen. Etwas mehr Abwechslung in den Bewegungsformen hätte die ausdrücklichen Absichten deutlicher gemacht und hie und da den lose baumelnden Bezugsfaden wieder an den eigentlichen Inhalt geknotet. Aber das macht nichts, die Musik macht alles wieder wett, baut – ohne Gesang, rein durch Rhythmen – perfekt Stimmungen auf. Unterm Strich plätschert die virtuelle Traumwelt in der Kesselhalle ein bisschen vor sich hin. Philosophisch-nachdenklich wurde es nur einmal im Chat:

(Mistoffelees) Marilyn war aber auch sehr einsam.

(TerranzaTanzkompanie) Sie war eine Prinzessin.

(Mistoffelees) Glaubst du, dass jemand seine wahre Identität im Leben preisgibt? Spo

„@Kontakt“ ist heute, Freitag, im Schlachthof, am 14. Juni im Bürgerhaus Hemelingen und am 21. Juni beim Jugendtheaterfestival „explosive“ wieder im Schlachthof zu sehen. Beginn jeweils um 20 Uhr.