wir lassen lesen
: Ein Fußballbuch als verpasste Chance

Günter, der Grandiose

Früher war alles besser. Früher, da hat der grandiose Netzer Pässe in die Utopie geschlagen, für ein Mönchengladbach, für ein Spiel und für eine andere Bundesrepublik. Früher war auch der Autor und Sportjournalist Helmut Schümann dabei, als Aufwachsender, als Bundesrepublikaner und als Fußballfan, damals, als alles noch anders war. Verzeihe mir, Helmut, aber ich möchte Dich, beseelt und leidenschaftlich, gerne direkt anreden. Dufter Typ warst Du, da bin ich mir sicher, Helmut, hast gekifft, damals, aber das ist vorgegriffen, musstest erst mal schwarzweiß Fußball bei den Nachbarn in Düsseldorf-Oberbilk gucken, klar, Deine Eltern hatten ja noch keinen Fernseher. Hast Deine Fortuna dann im Stadion bejubeln dürfen. Hast sie alle erlebt, die Spieler, die Typen, aber auch die Veränderungen, die gesellschaftlichen, ja, auch die sportlichen. Du warst im Jugendclub, hast Bier getrunken, hast auf der Straße gekickt, goddamn Helmut, Du warst dabei!

Günter Netzer, der Grandiose – den Dein Präsident, Helmut, bei der Fortuna verpasst hat, ja, sag es uns nochmal: den Dein Präsident bei der Fortuna verpasst hat ,– er, der große Günter, er hat Dein Vorwort geschrieben, das ist schon groß. Groß auch der Schluss seiner kruden Einleitung für Dein Buch, Helmut: „Fußball ist eine Leidenschaft. Und von dieser Leidenschaft handelt dieses Buch.“ Schön groß gelogen, Günter, aber so wirst Du, Günter, im Buch – gut gekontert, Helmut – zur dauergrandiosen Fußballikone.

Wie auch immer, was ist da nicht alles passiert über die Jahre, im Stadion und drum herum: Büchsenwurf in Gladbach, Bundesligaskandal, Notstandsgesetze. Irgendwie auch selbstreflexiv, selbstkritisch ist Dein Umgang mit diesen bewegten Zeiten. Aber eigentlich war es das doch, als die Bayern die anderen waren und die Stones sowieso besser als die Beatles. Aber, Helmut, Du bist älter geworden, Du hast studiert in Bonn, Du hast die Welt kennen gelernt. Und was hast Du nicht alles reflektieren können; etwa die Kaffeehausphilosophie eines Cesar Luis Menotti; oder die Erkenntnis, dass der miese Bibliothekar an der Uni, dass der ja gar nicht so mies war, war er doch, Fußballfan, so wie Du, Helmut, auch wenn es schon härter wurde, die Verhältnisse, der Fußball und auch Du, irgendwie. Irgendwann hat sich definitiv etwas verändert. Wann war er, der Turning-Point, 78, 82? Kam er mit Boris Becker, war das etwa der zeitgemäße Gegenentwurf zu: irgendwas? Ein Ass statt einer Mannschaft, Zuschauer, die nicht grölen, sondern schweigen. Oder war es nicht doch später, nach der Übernahme des Fußballs durch die Privaten?

Wie auch immer, Du bist umgezogen nach München, es kam die Wende, ja, die politische und die private. Die Wende, Du warst: im Stadion, aber: als Sportjournalist. Erst hast Du sie nur bedient in Schwabing, die SZ-Jungs, in der Kneipe, aber irgendwann hast Du die Seiten gewechselt, jetzt standest Du vor dem Tresen, mit der Redaktion. Ja, Du, Helmut, Du bist auf die andere Seite geraten, auf die der Objektiven, die der Sportjournalisten. Schon ein Wechsel, war es nach der Wende, nein, davor, da warst Du ja im Stadion, damals, als man noch nicht wusste, was aus Deutschland werden würde. Wie auch immer, die Spiele, immer mehr, die Welt- und Europameisterschaften, die Aufstellungen, Du, der Fan, Du hast sie gesehen, Du, der Sportjournalist, Du hast darüber geschrieben. Du warst dabei. Wie auch immer, Du bist nochmal älter geworden, hast den Hoeneß, Uli kennen und verstehen gelernt, trotz Politik und so ...

Wie auch immer, das Buch „Das Runde muss ins Eckige“ des Autors und Sportjournalisten Helmut Schümann ist schlecht. Es ist schlecht, weil hier einer eine Chance vertan hat, aus dem System Fußball über das System Fußball zu berichten, und es stattdessen vorzieht, in einem trivialen Dreiecksverhältnis, bestehend aus Biografie, Fußball und bundesrepublikanischer Zeitgeschichte, an der Oberfläche der Vergangenheit zu bohren. Das ist langweilig. Das nächste Mal sollte der Autor doch lieber, wenn er schon erzählt, wie er wieder einmal umgezogen ist, seine Redaktionswechsel in ein Verhältnis setzen zu den abgebrühten Bosman-Profis, das wäre doch mal was. Und es ist schlicht und ergreifend doppelt langweilig, mit der These zu schließen, dass der Fußball, als Geschäft, heutzutage irgendwie scheiße sei. Ob der Sport wirklich seine Seele verkauft hat, ob es an Leidenschaft mangelt, das sind Fragen, die man nicht mit einem belanglosen Blick zurück beantwortet. Denn leider fehlt diesem Fußballbuch genau das, was prinzipiell angemahnt wird: die Seele und das Herz. Oder das, was man darunter verstehen kann, als Heranwachsender, als Fußballfan, als Sportjournalist, als jemand, der letztlich Teil eines Systems geworden ist.

HENNING HARNISCH

Helmut Schümann: „Das Runde muss ins Eckige“. Eine Geschichte der Bundesliga, Alexander Fest Verlag, Berlin 2001, 224 Seiten, DM 36,-