Oase der Arbeit für Senioren

Japan droht wie Deutschland die Überalterung der Gesellschaft. In Tokio stellt jetzt eine Kneipenkette bewusst nur Senioren ein, um ihrem Leben einen Sinn zu geben

TOKIO taz ■ Die Visitenkarte von Tadakazu Kachi ist anders. Sie stellt nicht einfach nur seinen Namen und seinen Beruf vor, sondern auch sein Programm. Über seinem Namen steht: „Yes! Power is Here. Kokoro-no-Izakaya, die Kneipe mit Herz.“ Und darüber: „Läden in ganz Japan sind geplant! Die Überalterung der Gesellschaft ist für uns eine Herausforderung.“

Die Idee, eine Ladenkette zu eröffnen, die ausschließlich RentnerInnen beschäftigt, hatte Kachi schon vor 15 Jahren. „Damals waren gerade sämtliche Kneipen von mir Pleite gegangen, und ich hatte unglaublich hohe Schulden. Ich wollte nicht mehr leben“, sagt Kachi, als ginge es um einen anderen. In dieser Misere traf er einen Ladenbesitzer höheren Alters. Das Gespräch gab dem Gescheiterten Mut und den Anstoß für das Projekt.

13 Jahre lang dauerte es, bis Kachi seine Schulden abgestottert hatte. Im Juli 1998 machte er seinen ersten Izakaya, eine Trink- und Snack-Kneipe, in Tokio auf. Es wurde ein Erfolg. Danach eröffnete er noch weitere fünf Kneipen in und um Tokio. Tag für Tag bekommt Kachi Anfragen von Leuten, die Izakayas nach seinem Konzept eröffnen wollen. „Es sind mehr als 120 Interessenten. Offensichtlich besteht ein hoher Bedarf, ältere Menschen wieder ins Arbeitsleben zu integrieren“, berichtet er.

Wie in Deutschland ist in Japan die Überalterung der Gesellschaft ein wachsendes Problem. Statistiken zeigen, dass die so genannte produktive Bevölkerung zwischen 20 und 64 Jahren stark abnimmt. Die Geburtenrate ist so niedrig wie nie. Zugleich wächst der Anteil der Bevölkerung über 65. Er betrug vergangenes Jahr 17 Prozent, 2 Prozent mehr als die Zahl der Kinder und Jugendlichen unter 15.

Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, gibt es Vorschläge von der Regierung und Unternehmen. So redet die Regierung beispielsweise von einer „dynamischen alternden Gesellschaft“, in der künftig jeder selber entscheiden soll, ob er bis 70 arbeiten möchte oder nicht. Auch sind Fortbildungsprogramme vorgesehen, mit deren Hilfe Senioren wieder Arbeit finden sollen. Kachi hält allerdings nichts von solchen Plänen: „Was haben ältere Menschen davon, sich weiterzubilden, wenn es dann keine Firma gibt, die sie haben möchte?“

In Kachis Kneipen arbeiten mittlerweile über 100 Senioren. Der Altersdurchschnitt: 68 Jahre. In der Regel arbeitet jeder Angestellte sechs Tage die Woche je acht Stunden, was in der Gastronomie Standard ist. Allerdings kann das nicht immer eingehalten werden. „Es sind eben doch ältere Menschen. Da muss man ab und zu Abstriche machen, weil sie natürlich körperlich nicht mehr so fit sind“, erklärt Kachi. Trotzdem macht er bei den Gehältern so gut wie keine Abstriche. Bei ihm verdienen die Angestellten 700 Yen, umgerechnet etwa 14 Mark die Stunde. Das ist nicht viel weniger, als Studenten verdienen würden.

Den Angestellten macht es Spaß. Masako Kurihara (75): „Ich arbeite gerne. Solange ich gesund bin, möchte ich mein eigenes Geld verdienen. Von meiner Rente allein kann ich nicht leben, und ich möchte meine Tochter nicht ständig um Geld bitten.“ Frau Kurihara ist in einer von Kachis Kneipen für das Essen verantwortlich. Jeden Tag bereitet sie 20 verschiedene Gerichte für das Buffet vor, alles immer wieder neu, alles selbst gemacht. „Ich will nicht, dass Leute denken: Die ist alt, die ist zu nichts mehr zu gebrauchen“, sagt sie.

Den Senioren wieder eine sinnvolle Aufgabe zu geben, auf die sie stolz sein können, ist laut Kachi das Geheimnis seines Erfolgs. Auch wenn er doppelt so viel Personal anstellen muss als nötig, weil ältere Menschen einfach nicht mehr so belastbar sind, macht er Profit. In den nächsten vier Jahren will er noch weitere 200 Izakayas eröffnen. Sein Fernziel: 1.000 Kneipen mit 80.000 Rentern als Angestellten.

ESTHER MAYUMI SCHERER