Die wachsamen Augen der SPD-Zentrale

Die Berliner SPD ist ganz, ganz selbstständig in ihren Entscheidungen, klar. Doch seit Schröders Kanzlerschaft und dem Regierungsumzug kümmert sich die Bundes-SPD sehr viel intensiver um ihre Haupstadtfiliale als zu Frontstadtzeiten

BERLIN taz ■ Der 25. März war ein schöner Tag für die Sozialdemokraten. In Rheinland-Pfalz sollten sie wieder den Regierungschef stellen, in Baden-Württemberg holte die Spitzenfrau Ute Vogt mit plus 8 Prozent ihre Partei aus dem Keller. Man hatte also allen Grund, an diesem Abend im Willy-Brandt-Haus mit den Gästen zu feiern. Nur Peter Strieder, der Berliner Landesvorsitzende und Senator, stand grüblerisch vor den Monitoren und musste sich manche Frotzelei von umstehenden Genossen der Bundespartei anhören.

Gestern, im vollbesetzten Pressesaal des Berliner Abgeordnetenhauses, saß da ein gänzlich anderer Strieder. Selbstbewusst, kämpferisch, gelöst, als habe er lange auf diesen Tag gewartet. Ob er sich Gerhard Schröders Segen am Dienstag im Bundesvorstand geholt habe und am Mittwoch nochmals den von Generalsekretär Franz Müntefering? Strieder ließ die Antwort offen. Natürlich habe es in letzter Zeit Kontakte zu beiden gegeben. Strieder zitierte deren Antwort Journalisten gegenüber so: „Wie immer im Leben gibt es mehrere Möglichkeiten.“ Einfluss auf diese Möglichkeiten habe aber niemand von der SPD-Spitze ausgeübt oder ausüben wollen, beteuert er treuherzig. Was in der Hauptstadt geschehe, sei die „ausschließliche Entscheidung“ der Berliner SPD. Bereits am Mittwoch hatte eine Nachrichtenagentur mit Verweis auf das Umfeld Schröders Gerüchten widersprechen lassen, wonach der Kanzler den Berliner Genossen ein Zusammengehen mit der PDS nahe gelegt habe. Schröder selbst hat seit langem einen persönlichen Draht zur Berliner SPD: Mit Klaus-Uwe Benneter, der unter Kanzler Helmut Schmidt wegen seiner Liebäugelei mit der DKP zeitweise aus der SPD ausgeschlossen war, sitzt ein Kampfgefährte aus Jusozeiten im Landesvorstand.

Als wollte die SPD-Bundesführung den Satz unterstreichen, Berlin bleibe Berlin, verzichtete das Führungspersonal gestern auf einen öffentlichen Auftritt im Willy-Brandt-Haus. Generalsekretär Franz Müntefering war am Nachmittag in Bonn. Doch ist anzunehmen, dass er die Situation auch von dort genauestens verfolgte. Schließlich schält sich heraus, dass die Berliner SPD bestrebt ist, die Neuwahlen am 23. September abhalten zu lassen. „Möglichst zeitnah“ solle der Termin an diesen Tag herangelegt werden, meinte gestern der potenzielle SPD-Spitzenkandidat Klaus Wowereit. Das Datum käme Schröder höchst gelegen, wird doch just am selben Tag in Hamburg gewählt. Bisherige Umfragen prognostizieren der hanseatischen SPD große Verluste. Eine Niederlage in Hamburg könnte mit einem Sieg über die CDU in Berlin ausgeglichen werden. Zugleich würde im Bundesrat bei den Stimmenverhältnissen alles beim Alten bleiben. Damit wäre zumindestens bei schwierigen Entscheidungen die Handlungsfreiheit von Rot-Grün auf Bundesebene gesichert.

Bauchschmerzen bereitete lange Zeit der SPD im Willy-Brandt-Haus die Spitzenkonstellation in Berlin. Strieder als Landeschef und Wowereit als Spitzenkandidat, das lässt Erinnerungen an das Duo Oskar Lafontaine und Gerhard Schröder aufleben. Strieder, der lange Zeit als unberechenbar galt, hat in den vergangenen Monaten Selbstdisziplin an den Tag gelegt. Zum Thema Spitzenkandidat werde er der Partei einen Vorschlag unterbreiten, meinte er gestern. Und da Wowereit seine Bereitschaft zu einer Kandidatur erklärte, scheint dieses Problem gelöst. Und auch die Frage, ob die Skeptischen in der SPD zur PDS Kontakte aufnehmen würden, scheint seit gestern ein wenig klarer zu sein. Ihr Vertreter Klaus Böger, seines Zeichens Senator, nannte es „nicht verträglich“ für die Zukunft der Stadt, die PDS bei Gesprächen künftig außer Acht zu lassen. SEVERIN WEILAND