: Böser Schächer ohne Kralle
Im Turm von St. Jacobi restaurieren Spezialisten eine seltene Kreuzigungsgruppe. Kirche und Denkmalschutzamt kooperieren ■ Von Gernot Knödler
Viereinhalb Jahrhunderte hat die Kreuzigungsgruppe auf dem Friedhof der Dreieinigkeitskirche in St. Georg gestanden. Sie hat Regen, Wind und Sturm getrotzt, den Zweiten Weltkrieg hat sie im Hochbunker an der Feldstraße überstanden. Zurzeit wird sie in der Restaurierungswerkstatt im Turm von St. Jacobi an der Steinstraße ausgebessert. Sie danach am alten Ort aufzustellen, kommt gleichwohl nicht in Frage. „Eine Wiederaufstellung wäre wegen der aggressiven Luft heute nicht zu verantworten“, sagt Volker Konerding vom Denkmalschutzamt.
Um Kunstschätze wie die Kreuzigungsgruppe zu erhalten, arbeiten Kirche und Denkmalschutzamt schon seit längerem bei der Restaurierung zusammen. Nach einem jahrelangen Provisorium hatte sich die Kirche 1997 entschlossen, mit Unterstützung des Denkmalschutzamtes eine richtige Werkstatt samt Lagerräumen einzurichten. Vorige Woche wurde diese Zusammenarbeit durch einen Vertrag besiegelt. „Wir wollen, dass die Erhaltung solcher Kunstdenkmäler zu einer Selbstverständlichkeit wird in dieser Stadt“, versichert Lutz Mohaupt, der Hauptpastor von St. Jacobi.
Maximal vier Restauratoren können im Turm an der Wiederherstellung sakraler Kunstwerke arbeiten. Ein paritätisch besetzter Werkstattausschuss sorgt für einen kurzen Draht zwischen Kirchenleuten und Denkmalschützern. Und die Kunst-Führungen des Pastors Alexander Röder haben mit der Werkstatt einen weiteren Anlaufpunkt. Die Möglichkeit, Restauratoren zu beobachten, sei selten, betont Kultursenatorin Christina Weiss. Pastor Mohaupt verspricht sich von der dadurch entstehenden Faszination eine wachsende Bereitschaft, die Lasten zu tragen, die mit dem Wiederherstellen der Kunstwerke verbunden seien. Mohaupt optimis-tisch: „Das wird Schule machen.“
In die Werkstatt gelangt der Besucher durch schwere Tresortüren. Im ersten Stock findet er Jutta Knörle, die ein großes Kruzifix aus Holz, Leinwand und Gips unter dem Binokular hat. Mit Engelsgeduld legt sie alte Farbreste frei, so groß wie Briefmarkenzacken. Nebenan wischt Ewa Gilun mit einem Wattestäbchen über das Gesicht des Heiligen Ansgar.
Zu sehen ist die Figur eines kirchlichen Würdenträgers mit einer Kirche auf dem Arm, vor einem grünlich-stumpfen Hintergrund. Daneben hängt ein Eins-zu-eins-Abzug vom Röntgenbild des mannshohen Gemäldes. Es zeigt, dass unter dem Schwarzen Bildrahmen eine Schrift liegt, und es zeigt ein Gesicht, das viel interessanter aussieht als das an der Oberfläche.
Von wegen St. Ansgar: Der Dompropst Johann Middelmann hat sich 1457 auf dem Gemälde verewigen lassen, die Inschrift beweist es. Erst im 17. Jahrhundert dürfte er zum Heiligen mutiert sein. Zum Leidwesen der Restauratorin hat alles Wischen jedoch nicht das scharfe, ein wenig verschlagene Gesicht des Röntgenbildes zum Vorschein gebracht. Lediglich der Bartschatten ist stärker geworden und eine Augenbraue hat sich verändert. Dafür entdeckte Gilun unter dem stumpf-grünen Bildhintergrund ein strahlendes Blau. An zwei, drei unscheinbaren Ecken hat sie es freigelegt.
Im Erdgeschoss der Werkstatt wird die Kreuzigungsgruppe bearbeitet. Im Rahmen der Mittelalter-Ausstellung war sie bereits in der Kunsthalle ausgestellt und für diesen Zweck hergerichtet worden. Jetzt wird sie vom Norddeutschen Zentrum für Materialkunde von Kulturgut gründlich untersucht und von der Restauratorin Bettina Ross wiederhergestellt. Ross, die schon den Stuhlmann-Brunnen vor dem Altonaer Bahnhof restauriert hat, entfernt Schmutz und korrodiertes Metall, sie beseitigt die Sünden früherer Reparaturen und konserviert die Bildwerke.
Zum Zwecke der Bestandsaufnahme hatten Mitarbeiter des Denkmalschutzamtes die Figuren zuvor viele Dutzend Male aus allen Richtungen fotografiert. Statt die Bilder wie früher in einen zentimeterdi-cken Katalog zu stecken, koppelten sie diese mit einem Computerprogramm . Jetzt können sie auf einem Bildschirm bequem gedreht, gewendet, vergrößert und verkleinert werden.
Der hohe Aufwand erklärt sich daraus, dass die Figuren der Kreuzigungsgruppe seltenerweise aus Bronze gegossen sind und so lange Zeit im Freien überstanden haben. „Es gibt in ganz Europa kein vergleichbares Stück“, sagt Konerding. „Das erste Kunstwerk im öffentlichen Raum, das sich erhalten hat.“
Dabei trotzte es nicht bloß der Witterung, sondern auch den Begehrlichkeiten der Generäle – der Franzosen wie des Nazi-Deutschlands – die das Metall für ihre Rüs-tungsproduktion begehrten. Zumindest gegen die Franzosen könnte ein Schutzanstrich geholfen haben, spekulieren die Leute vom Denkmalamt. Unter der Farbe habe möglicherweise niemand die Bronze erwartet.
Der Kalvarienberg bildete lange Zeit das Ende eines Kreuzweges, der vom Dom nach St. Georg führte und der genauso lang war, wie angeblich der Leidensweg Christi auf der Via Dolorosa in Jerusalem. Er zeigt Jesus am Kreuz, eingerahmt von Maria und Johannes dem Täufer sowie dem guten und dem bösen Schächer. Auf dem Kreuz des reuigen Verbrechers sitzt ein Engel. Die Teufelskralle auf dem Kreuz des andern ging verloren.
Nach Abschluss der Restaurierung sollen die fünf Figuren wieder an eine Wand in der Dreieinigkeitskirche (Kirche St. Georg) gehängt werden. Hauptpastor Mohaupt will ihre Rückkehr mit einem Spektakel feiern. „Es gibt, wenn die fertig sind, eine Prozession auf dem klassischen Weg“, verlangte er von seinem Kollegen aus der Dreieinigkeitskirche.
Führungen zu den Kunstwerken der Hauptkirchen können unter 32 77 44 mit Pastor Alexander Röder vereinbart werden.
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