Wie traurige Songs

Benji Reids „The Holiday“ und Hooman Sharifis „Suddenly, Anyway, Why All This. While I“: Ein choreoragphischer Doppelabend beim Junge Hunde Festival  ■ Von Nikola Duric

Benji Reid ist Weltmeister im Body-Popping, einer Form des Breakdance. In seiner 15-minütigen Tanzperformance The Holiday tas-tet er sich langsam in die bereitgestellten und wartenden Spotlights der leergeräumten Bühne. Zuerst durchsticht er pantomimisch Teile seines Körpers, bevor er, einen schrecklichen Urlaub beschreibend, langsam in den Prince-Song „Sometimes it Snows in April“ übergeht.

Reid war Choreograph und Tänzer der Clubcombo Soul II Soul, und sein Solo liest sich wie die dunkle Seite der derzeit angesagten R'n'B-Videos. Was machen die ganzen, in Camouflage gekleideten Backgroundtänzer von Destiny's Child und Missy Elliot, wenn der Videodreh vorbei ist? Manche gehen nach Hause, andere tanzen weiter, und wenige arbeiten an Soloprojekten wie Benji Reid.

Er selbst nennt sich „Stand Up Tragedian“, was immer dann, wenn er in Pantomime übergeht, recht pathetisch daherkommt. Wenn aber sein anfängliches „speaking in tongues“ ein eingeflochtenes Selbstmordszenario zurücklässt und sich daraus der Prince-Song schält, entwickelt sich doch noch eine traurige Schönheit.

Den zweiten Teil des Abends bestreitet der in Norwegen lebende Hooman Sharifi. Mit einem einnehmenden Lächeln erwartet er seine Gäste, die auf verstreuten Stühlen Platz nehmen. Sharifi ist mit 14 Jahren alleine aus dem Iran emigriert, und sein Solostück Suddenly, Anyway, Why All This? While I... beschreibt unterschwellig seine Vatersuche.

Die technischen Hilfsmittel der 45 Minuten werden einfach ein- oder ausgeschaltet. Texte vom Overheadprojektor ergänzen Dias aus seiner Kindheit. Das Besondere an Sharifi ist seine enorme körperliche Präsenz. Er dürfte der vermutlich schwerste Tänzer und Choreograph Europas sein. In seine Ein-Meter-sechzig dürfte Jennifer Lopez dreimal reinpassen. Aber wer nun denkt, da erzähle ein netter Tanzbär seine Jugend nach, liegt ziemlich falsch. Sharifis eigene Migrationsgeschichte geht über in die aktuellen Dramen Palästinas. Mal durchstreift er traurig, mal suchend die Stuhlreihen der Zuschauer. Zu Plastikman, Aphex Twin oder Musik des Labels Mego lässt er sich zuerst plump auf den Rücken fallen, bevor er plötzlich zu tanzen beginnt. Und das macht er erhaben und schwerelos.

Am Ende seines Solos bittet Sharifi die Gäste im Raum, „die Reise nach Jerusalem“ zu spielen, ohne jedoch Stühle wegzunehmen. Jeder bleibt willkommen, es ändern sich lediglich die Positionen. Im letzten Durchlauf des Spieles bleiben alle stehen und tanzen mit einem nahe stehenden Partner zu Chet Bakers „Funny Valentine“ dem Ende des Abends entgegen.

Genau wie Reid nebenher in populären Medien aktiv ist, so hat auch Sharifi mit HipHop und Street Jazz angefangen. Die beiden Stü-cke sind gute Beispiele dafür, wie die andauernde Debatte um Pop im Theater beendet oder zumindest in eine andere Richtung geführt werden kann.

Der Doppelabend hat gezeigt, dass es nicht wichtig ist, sich explizit auf einen populären Hintergrund zu berufen, um als nächste Generation wahr- oder ernst genommen zu werden. Die beiden Choreographen und Tänzer haben ein populäres Wissen, das sie beiläufig einsetzen, nicht der Zeichenhaftigkeit oder der Positionierung wegen, sondern einfach deshalb, weil diese Tracks und Songs zu den Szenen passen. Ihre Bewegungsabläufe sind keine Videoclip-Zitate, sondern erzählen eine universelle Geschichte. Die Ausgangslage „Pop“ bietet ihnen eine weitaus tiefere Fallhöhe in schöne Traurigkeit, als es das Stadttheater derzeit praktiziert.

Sonnabend, 20 Uhr, Kampnagel, k1