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standbildGefühlte Sendezeit

Langer Samstag: Sonne, Mond und Sterne

(Sa, 20.15 Uhr, MDR)

Eine lange Nacht hatte der MDR seinen Zuschauern versprochen, und damit sollte der öde Sender aus Dresden mehr als Recht behalten. Es wurde die längste Nacht der deutschen Fernsehgeschichte. Die vom Zuschauer gefühlte Sendezeit betrug zum Ende ungefähr 75 Stunden. Doch da sah selbst das letzte Häuflein Aufrechter nur noch Sterne.

Moderiert wurde die Rocky-Horror-Astro-Show von Jan Hofer, Beruf: Tagesschauer, Sternzeichen: Fernsehdirne. Dem Nostradamus im grauem Sakko zur Seite stand Yvette Ruzha, Beruf: Prophetin aus Prag, Sternzeichen: Pflaume. Die beiden Hellseher hatten nun die nächsten unendlichen Stunden wohl statt Mars oder Saturn die Blödheit in ihrem vernageltem Haus. Als wollten sie die Das Goldene Blatt verfilmen, ließen sie einen Computer in die Sterne gucken, um die telefonischen Fragen dussliger Zuschauer zu beantworten. Gefüttert mit den Geburtstagen der Leichtgläubigen spuckte das Maschinchen aus, dass Frau H. aus B. ihren fünften Ehemann mal nicht durch Selbstmord verlieren würde, dass Herr S. aus K. sich beruhigt einen neuen Hund zulegen könne. Ganz besondere Vorsicht gelte für das Ehepaar K. aus A. – ihre 20-jährige Pechsträhne dauere weiter an. An Genesung, Arbeit oder gar Urlaub sei in den nächsten Jahren noch nicht zu denken. Besonders ärgerlich für das Verliererpärchen: Um diese niederschmetternde Auskunft zu bekommen, mussten sie auch noch eine besonders teuere Telefonnummer wählen. Schlecht für sie, gut für den MDR. Mit den Einnahmen aus den Telefongesprächen konnten sicher die 17,50 Mark Produktionskosten bezahlt werden. Denn nicht nur die Studiodekoration versprühte den Charme des Offenen Kanals. Auch die alle 5 Minuten eingeblendeten Showeinlagen lösten eher Ekel als Mitleid aus. Ob Vittorio Casagrande, Petra Zieger oder Chris Derk – der größte Dreck wurde aus der grünen Tonne der Fernsehunterhaltung geholt und gnadenlos recycelt. Das Ganze war Lichtjahre entfernt von jeder halbwegs guten Idee und ist hoffentlich schon längst wieder verloren in den unendlichen Weiten des Fernsehalls. Versenkt in einem tiefen schwarzen Loch! ALF IHLE

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