Finstere Zeiten für Kairos Freidenker

Ägyptens berühmteste Feministin, Nawal al-Saadawi, soll nach dem Willen von Islamisten zwangsweise von ihrem Mann geschieden werden. Ihr Vergehen: Kritik an den muslimischen Pilgerfahrten nach Mekka. Nächste Woche beginnt der Prozess

aus Kairo HEIKE STRUCK

„Wir sind glücklich miteinander“, erklärt Sherif Hetata lachend am Telefon. Seit 37 Jahren ist der Schriftsteller mit der ägyptischen Ärztin, Frauenrechtlerin und Schriftstellerin Nawal al-Saadawi verheiratet. Doch den beiden Rentnern am Rande der ägyptischen Hauptstadt Kairo könnte das unbeschwerte Lachen bald vergehen. Dem Intellektuellen-Ehepaar droht die Zwangsscheidung.

Am 18. Juni wird vor einem Familiengericht in Kairo über die Scheidung der Eheleute verhandelt. „Die Grenzen sind überschritten“, stellte der Richter Nabih al-Wash Anfang März fest, als er das Verfahren gegen Nawal al-Saadawi eröffnete. Ihr wird der Abfall vom islamischen Glauben vorgeworfen. Deswegen dürfe ihr Mann nicht weiter mit ihr verheiratet sein. Eine Ehe mit Glaubensabtrünnigen ist nach islamischem Recht verboten.

Der Anlass für die Klage war ein Interview, das die Intellektuelle in diesem Frühjahr der Wochenzeitung Al-Midan gegeben hatte. Darin wird sie zitiert mit dem Spruch, die für alle gläubigen Muslime vorgesehen Wallfahrt nach Mekka und das zum Höhepunkt der Wallfahrt gebotene Küssen des schwarzen Steins, dem höchsten islamischen Heiligtum, seien „Spuren heidnischer Praxis“.

„Wir haben über Frauenrechte und den Schleier, über Erbrecht und Namensrecht geredet“, erzählt Saadawi über das Interview. Weiter sei darüber gesprochen worden, dass ihre Bücher von der internationalen Buchmesse in Kairo entfernt worden waren. Die Bemerkung über die Wallfahrt sei nur am Rande gefallen. In der Zeitung war sie jedoch ganz groß aufgemacht worden.

Der Artikel rief den Mufti von Kairo, Nasr Farid Wassel, auf den Plan. Er verlangte von Nawal al-Saadawi eine öffentliche Entschuldigung und intervenierte bei dem islamistisch eingestellten Richter auf Anklage.

Mit dem ägyptischen Religionsführer hatte Sadaawi bereits Anfang des Jahres eine Auseinandersetzung. Er empfahl eine Operation für vergewaltigte junge Frauen, um das mit Gewalt zerstörte Jungfernhäutchen wiederherzustellen. Nawal al-Saadawi lehnt dies vehement ab. Seit Jahrzehnten kämpft sie dagegen, dass Frauen in ihrer Hochzeitsnacht mit einem Blutfleck beweisen müssen, noch unberührt gewesen zu sein.

„Wir werden weiterhin zusammenleben, egal was passiert“, haben sich Nawal al-Saadawi (70) und Sherif Hetata (78) entschlossen. Sie wollen in Ägypten bleiben und nicht ins Exil gehen. Sollte das Paar tatsächlich geschieden werden, kämen harte Zeiten auf sie zu. Sie würden zu Freiwild für Islamisten.

Ägyptische Intellektuelle sind schon oft Opfer von Gewalt geworden. So erschossen radikale Islamisten 1992 den Schriftsteller und Kolumnisten Faraq Fouda. 1989 wurde der Nobelpreisträger Naguib Mahfouz von religiösen Eiferern niedergestochen.

Bereits 1995 sorgte eine Zwangsscheidung in Ägypten für internationale Aufmerksamkeit. Dem Schriftsteller und Literaturprofessor Nasr Hamed Abu Zeid war die Abkehr vom islamischen Glauben vorgeworfen worden – er wurde daraufhin von seiner Frau geschieden. Dieses Urteil ging durch alle Instanzen und wurde zuletzt vom Obersten Gericht in Kairo bestätigt. Diese Entscheidung gab extremen Gruppen Auftrieb, deren Positionen im Islam umstritten sind.

Die Religion ist nicht frauenfeindlich, die Männer in den führenden Positionen sind es, meint Nawal al-Saadawi. Die Frauenrechtlerin ist bekennende Muslimin, geschult von ihrem Vater, der ein bedeutender ägyptischer Theologe war. In der Oppositionsrolle kennt sich Nawal al-Saadawi aus. Bereits 1972 verlor sie ihren Job als Leiterin des ägyptischen Gesundheitswesens, nachdem ihr Buch „Women and Sex“ erschienen war. Sie erhielt Publikationsverbot. 1981 war sie für einige Monate im Gefängnis, zusammen mit 1.500 anderen Intellektuellen. Sie war eine der Gründerinnen der „Arab Women Association“, einer Organisation, die 1991 verboten wurde. Nach längeren Aufenthalten in den USA und in Europa war Nawal al-Saadawi im letzten Jahr nach Ägypten zurückgekehrt, um sich an einer Kampagne gegen Klitorisbeschneidungen und für ein gerechteres Erbrecht einzusetzen. In Ägypten können Frauen in der Regel nur die Hälfte von dem erben, was Männern zugestanden wird.

Überhaupt verschärft der ägyptische Staat derzeit seine Gangart gegen Intellektuelle und Oppositionelle. So wurde Anfang Mai der Soziologieprofessor Saad Eddin Ibrahim zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt mit der Begründung, er habe tendenziöse Gerüchte verbreitet.