„Eine Kandidatur ist ein Himmelfahrtskommando“

Der Parteienforscher Jürgen Falter über die Personalprobleme der Berliner CDU und die bundespolitische Bedeutung der Ereignisse in der Hauptstadt

taz: Die SPD hat ihren Spitzenkandidaten nominiert, die CDU zögert noch. Kann sich die Partei das in der jetzigen Situation überhaupt leisten?

Jürgen Falter: Die CDU hat ein Problem, denn Eberhard Diepgen wird kandidieren, wenn er will, weil er der mit am Abstand mächtigste CDU-Politiker in Berlin ist, aber allen ist klar, dass er sicherlich nicht der beste Kandidat in dieser Situation sein wird. Deswegen kann die CDU noch nicht mit einem neuen Kandidaten rausrücken: Ich glaube, sie hat gar keinen.

Wieso ist Herr Diepgen nicht der beste Kandidat?

Diepgen ist einer von vielen politischen Verantwortlichen der jetzigen Finanzkrise, auch wenn er natürlich nur der Primus inter Pares war. Antreten kann er, aber das Problem ist: Es bleibt etwas an ihm hängen. Wenn man einen Neuanfang haben möchte, dann ist Diepgen sicherlich nicht der glaubwürdigste Kandidat.

Warum werden vor allem Politiker aus dem Bundesgebiet als Kandidaten ins Spiel gebracht?

Das Problem der Berliner CDU, aber auch der anderen Berliner Parteien ist, dass ihre Personaldecke nie besonders berühmt war. Von wenigen Ausnahmen wie Willy Brandt einmal abgesehen. Aber danach ist ja innerhalb von Berlin relativ wenig gekommen. Die Tatsache, dass die Seilschaften die Politik der großen Parteien bestimmt haben, hat ja auch keine jungen Talente in Massen hochsprießen lassen.

Ist eine Kandidatur von Herrn Schäuble realistisch?

Ich halte das für sehr unwahrscheinlich. Wenn, dann würde er es als Parteisoldat machen. Der Süddeutsche in Berlin: Ich glaube nicht, dass er das auf sich nehmen will. Das ist streng genommen auch eine Nummer zu klein für jemanden, der fast Bundeskanzler geworden wäre.

Schäuble musste wegen einer 100.000-Mark-Spende als Parteivorsitzender zurücktreten.

Er wäre ohne Frage angreifbar. Insofern wäre seine Position nicht besonders gut. Andererseits ist er sicher einer der absoluten Spitzenpolitiker, die wir in der Bundesrepublik haben. Es wäre sicherlich frisches Blut innerhalb der Berliner CDU, aber ein Neuanfang im großen Maße wäre das nicht.

Gibt es andere ernst zu nehmende Kandidaten von außen?

Mir fällt eigentlich niemand auf Anhieb ein. Die Personaldecke aller Parteien ist nicht besonders beeindruckend. Die CDU ist im Prozess der Selbstfindung. Da gibt es niemanden, der sich aufdrängen würde, der in der Lage wäre, die Situation noch einmal zu wenden. Abgesehen davon ist die Kandidatur für die CDU in Berlin ein Himmelfahrtskommando. Niemand geht davon aus, dass die Partei die absolute Mehrheit bekommen könnte.

Also muss die Berliner CDU selbst den Karren aus dem Dreck ziehen. Kommt der Fraktionsvorsitzende Frank Steffel dafür in Frage?

Steffel ist natürlich eng mit Landowsky verbunden, und das wird man auch gegen ihn einwenden. Andererseits ist Steffel jung und relativ unverbraucht, so weit man sehen kann. Ein wenig wäre er damit auf gleicher Augenhöhe mit Wowereit.

Könnte die CDU mit dem derzeitigen Finanzsenator Peter Kurth punkten?

Kurth ist meines Erachtens kein besonders charismatischer Kandidat, aber das war ja streng genommen Eberhard Diepgen auch nicht. Er wäre sicherlich als einer der wichtigsten Senatoren ein Schwergewicht in der CDU.

Der stellvertretende CDU-Fraktionsvorsitzende Alexander Kaczmarek hat vorgeschlagen, den Regierenden Bürgermeister schon bei den nächsten Wahlen direkt zu wählen.

Es ist ein völliger Unsinn, in einem parlamentarischen System den Regierenden Bürgermeister direkt wählen zu lassen. Dann kriegen wir israelische Zustände oder solche aus dem kommunalen Bereich. Das heißt, der gewählte Amtsinhaber muss mit ganz anderen Mehrheiten regieren als denen, die er eigentlich braucht. Und das ist natürlich für die Beweglichkeit der Stadt und die Schlagkraft der Politik nicht unbedingt sinnvoll. Ich halte das eher für eine Schnapsidee.

Welches Motiv hat die CDU für einen solchen Vorschlag?

Ich glaube, die CDU will Verwirrung stiften und Wowereit ein wenig den Wind aus den Segeln nehmen. Wenn die CDU ernsthaft nachdenkt, wird sie von diesem Vorschlag wieder abkommen. Er ist schlichtweg systemwidrig.

Welche bundespolitische Bedeutung hat die Wahl in Berlin?

Berlin ist nicht Mecklenburg-Vorpommern. Hier stoßen West und Ost aufeinander, hier ist die Hauptstadt. Was hier passiert, hat eine ganz andere Bedeutung als das, was in Magdeburg oder Schwerin vor sich geht. Es wird nicht ganz zu Unrecht als ein weiterer Schritt gesehen, eine linke Mehrheit zu schaffen, damit Schröder am Ende irgendwann noch mehr Optionen hat, als er ohnehin jetzt schon hat, und die CDU nur die eine Kolitionsmöglichkeit mit der FDP, die sich aber auch auf die SPD zubewegt.

Muss die CDU also einen Bundestagswahlkampf gegen Rot-Rot geben?

Sollte es zu einer Koalition zwischen SPD und PDS in Berlin kommen, dann wird die CDU ganz sicher versuchen, zumindest ihre eigenen Stammwähler und auch die in Massen zur SPD abgewanderten bürgerlichen Randwähler dadurch zu mobilisieren, dass man sagt: Die Sozialdemokraten sind vaterlandslose Gesellen, die mit einer Partei zusammengehen, die indirekt die Mauer auf dem Gewissen hat. Ich glaube jedoch trotzdem nicht, dass es ein großes Thema im Bundestagswahlkampf sein kann. Man hat sich inzwischen zu sehr an die PDS gewöhnt.

Wäre ein Lagerwahlkampf auch eine Vorentscheidung für Edmund Stoiber als Kanzlerkandidaten?

Stoiber würde das sicher glaubwürdiger vertreten als Angela Merkel, weil er viel stärker polarisieren kann. Für einen polarisierenden Wahlkampf wäre er sicher der geborene Spitzenkandidat. Ich glaube nicht, dass Merkel mit ihrer vermittelnden Art einen solchen Wahlkampf führen könnte und möchte.

Wird die Berliner SPD tatsächlich mit der PDS koalieren?

Wenn es notwendig ist: ja.

Hat die Berliner CDU dann überhaupt noch eine Chance, den Gang in die Opposition abzuwenden?

Fast nicht, es sei denn, es passiert das Unwahrscheinliche, dass bei der Abwahl von Diepgen durch das konstruktive Misstrauensvotum genügend SPD-Abgeordnete abspringen, weil sie nicht mit der PDS zusammengehen möchten.

Kann eine Anti-PDS-Kampagne die CDU retten?

In bestimmten Wohngegenden von Westberlin wird natürlich eine Rote-Socken-Kampagne schon Erfolg haben. Aber insgesamt wird sich der Effekt gesamtstädtisch eher ausgleichen.

Wie sollten die anderen Parteien reagieren?

Am besten gar nicht. Ignorieren. Sie sollten zur Tagesordnung übergehen. Wenn man sich darauf einlässt, ist man genau da festgenagelt, wo die anderen einen haben wollen.

INTERVIEW: ANDREAS SPANNBAUER