BALD WIRD ATOMKONSENS GESETZ – DER BUNDESTAG DARF NUR ABNICKEN
: Demokratie stört nur beim Konsens

Angenommen, Riester, Müller und Schröder hätten das Gesetz zur Rentenreform mit der Wirtschaft ausgehandelt. Hinter den Kulissen wurde mit Hundt und Henkel alles ausgetüftelt. Bei den, wie man hört, sehr schwierigen Verhandlungen mussten Gewerkschaften und andere interessierte Gruppen leider außen vor bleiben. Von ihnen erwartet die Regierung Verständnis für die Kompromisse. Der Mehrheit des Bundestags legt sie dringend nahe, das Gesetz unverändert zu beschließen, um den „Konsens“ nicht zu gefährden. Den Konsens mit der Wirtschaft, versteht sich.

Weder die Gewerkschaften noch eine wache politische Öffentlichkeit würden das hinnehmen. Schließlich geht die Zukunft der Rente alle an. Vom Bundestag würde die anschwellende Kritik aus der Zivilgesellschaft erwarten, dass er sich nicht zum willigen Vollstrecker des Regierungswillens macht. „Noch nie hat ein Gesetz das Parlament so verlassen, wie es eingebracht wurde“ – das soll ein SPD-Fraktionschef namens Peter Struck erklärt haben. Recht so, denn Gewaltenteilung gehört zu einer funktionierenden Demokratie.

Aber es geht ja nicht um die Rente, sondern um die Atomkraft. Hier müsste die Bevölkerung erst recht mitwirken dürfen: Bekanntlich ist die Mehrheit gegen die Nutzung der Kernenergie. Zudem geht es um solche „Belanglosigkeiten“ wie nicht ausschließbare Super-GAUs und Atommüll, für den es keine Entsorgung gibt.

Wenn nun nach dem Atomkompromiss der inhaltsgleiche Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht wird, erleben wir ein demokratiepolitisches Experiment. Haben nur die Chefs von Stromkonzernen das Recht, über zulässige Laufzeiten ihrer nicht beherrschbaren Anlagen zu verhandeln? Wie gewichtig können andere Gruppen ihre Bedenken und Argumente geltend machen? Werden sich die Abgeordneten der Regierungsfraktionen zu JasagerInnen zwangsverpflichten lassen? Oder werden sie die wirtschaftlichen Privilegien der Atomwirtschaft endlich streichen – also die steuerfreien Rückstellungen und die weiterhin großzügigen Haftpflichtversicherungen?

Es geht beim anstehenden Atomgesetz um mehr als um Kernspaltung. Es geht auch darum, ob die Losung der SPD von 1969, „Mehr Demokratie wagen“, im Jahr 2001 umgewandelt wird zu „Demokratie stört bei der Konsensbildung mit der Wirtschaft“. Und dies auch noch mit Billigung eines Koalitionspartners, der früher einmal radikaldemokratische Ansprüche vertreten hat. So darf nicht überraschen, dass der Widerstand sich immer lebendiger außerparlamentarisch äußert. 1969 war das ja auch so. HARTWIG BERGER

Grüner Abgeordneter in Berlin