Bruder Authentizität

■ Australische Hardrock-Rauhbeine: Rose Tattoo in der Markthalle

Stell dir vor, du verirrst dich ins dunkle Hafenviertel von Sydney. Als leicht zu erschreckender kleiner Tourist steuerst du die nächste Gaststätte an, um ein Taxi zu Hilfe zu rufen. Wir schreiben das Jahr 1982, und Münzen für die Telefonzelle sind hier noch Gold wert. Du also rein in diese üble Bar mit dem angenagten Tresen und den schlimmen Typen davor. Weil Du aussiehst, als würdest Du zuhause englischen Popperkram wie Spandau Ballett hören, wirst du von diesen harten Kerlen umringt. Und bevor du noch etwas sagen kannst, spürst du diesen kreischenden Schmerz an deinem Bauch, als hätten 500 Nadeln auf einmal zugestochen. Aber nicht Omas Nadelkissen läuft hier Amok, es ist ein kleiner Mann mit Glatze, schlechtem Atem und mindestens 75 Tattoos auf seinen Oberarmen: Angry Anderson. Wenn der nicht gerade am Durchdrehen ist, singt er in einer Band namens Rose Tattoo.

Natürlich ist diese Geschichte Quatsch, und wenn Angry jemals gegen irgendwen vorgegangen ist, dann gegen sich selbst. Da allerdings kannte der singende Giftzwerg nur wenig Pardon. Als Rock'n'Roll-Legenden gelten Andersons Mikro-gegen-die-Stirn Dreschereien, in die der knapp 1,60 Meter kleine Bühnenriese verfiel, wenn der Beat ihn in Ekstase trieb. Ohnmacht inklusive.

Rose Tattoo galten damals als der ganz heiße Scheiß in Sachen Australischer Rotz-Rock, Knast-Ästhetik und Outlaw-Attitüde. Kein Heavy Metal-Schmock, hier forderte Bruder Authentizität Tribut: Vier der fünf Typen hauptberuflich arbeitslos, einer betrieb, welch Wunder!, einen Tattoo-Schuppen, ein anderer konnte nur Hauptsätze lesen, und über allem machte Anderson ordentlich Rabbatz. Musikalisch gings direkt in Bauch und Ohr: Biker-Brachialität meets Rock'n'Roll, untermauert mit 'ner Ladung Rhythm'n'Blues.

Wen das an AC/DC zu Bon Scott-Zeiten erinnert, liegt richtig, denn beide Bands hatten zur selben Zeit das gleiche Produzenten-Team im Rücken. Nach den beiden hervorragenden Alben Rock'n'Roll Outlaw und Aussault And Battery sowie einer Menge Schulterklopfen seitens der Fanwelt war die Band hauptsächlich mit Personalwechsel und der Einsicht beschäftigt, dass die Welt wohl nur Platz für einen Riesen-Act aus Australien hat. Und der hieß nicht Rose Tattoo. So richtig aufgelöst hatte sich die Band nie, sie ruhte wie alter Bär, für den der Winter ein Leben lang zu dauern drohte.

Dass die Band mittlerweile wieder in aller Rock-Fan-Munde für Unruhe sorgt, hat drei Gründe: erstens die allgemeine Reunion-Flut im Metal-Lager, dann der legendäre Reunionauftritt beim letztjährigen Wacken-Open-Air, zuletzt noch einige Support-Gigs im Vorprogramm der Böhsen Onkelz. Auch wenn letzteres primär eine Frage des politischen Gewissens ist, haben alle drei Motive zumindest eines bewirkt: Am kommenden Montag spielen Rose Tattoo zum ersten Mal seit über 20 Jahren wieder in Hamburg. Und das ist gut so!

Oliver Rohlf

mit Backstreet Girls: Montag, 21 Uhr, Markthalle