Alles was ein böser Film braucht

■ Nach Lautremont: Das Machwerk Maldoror der Kieler Filmgruppe Chaos im Lichtmeß

Vom Leben ermattet schaut der Kopf der Kieler Filmgruppe Chaos, Karsten Weber, in die Kamera und spult mit trübem Blick die Vorgeschichte des Episodenfilms Maldoror herunter: „Die Idee zu dem Film wurde im Vollsuff geboren, in London nach'm Filmfest. Meine Kumpels vom Exploding Cinema und ich sind auf die grandiose Idee gekommen: Man nehme ein abgedrehtes Buch; ein Dutzend Kapitel werden verteilt, an 12 Filmemacher/Filmgruppen, die wir von Veranstaltungen aus London und Deutschland kennen und jeder hat die Möglichkeit, seinen Kram in Super 8 frei zu interpretieren. Der ganze Spaß wird zusammengeschnitten, hat die Länge eines abendfüllenden Films; ich greif' noch mal in 'nen öffentlichen Topf in Germany, und wir kriegen das Geld für einen 16mm-Blow-Up für die grosse Kinoleinwand – schwuppdiwupp, fertig ist der Undergroundfilm fürs große Kino.“

Es sollte natürlich anders kommen, Freunde wurden zu Feinden, Spesen zu Schulden, Träume zu Trümmern, und doch kam am Ende ein Film dabei heraus. Damit haben alle Beteiligten bewiesen, dass selbst die nicht zu verfilmenden Bücher auf ihre Art doch zu verfilmen sind. Ihre Vorlage, Die Gesänge des Maldoror vom Comte de Lautremont, gilt neben de Sades 120 Tagen von Sodom als der visionärste Abgesang auf unsere verdorbene Spezies und bietet laut einer Chaos-Aktivistin alles, was ein böser Film braucht: Sex, Gewalt und Wahnsinn.

Der Comte wurde 1846 als Sohn des französischen Konsuls in Montevideo geboren; mit siebzehn Jahren zog es ihn nach Paris, wo er im zarten Alter von 22 sein einziges Buch veröffentlichte. Zwei Jahre später fand man seine Leiche in einem Hotelzimmer, die Todesursache ist bis heute unbekannt. Die Gesänge verklingen zu ihrer Zeit, ohne dass sie jemand erhören will; doch keine zwei Jahrzehnte später entdecken Surrealisten wie Situationisten in dem an Nihilismus und Verachtung kaum zu überbietenden Werk eine Art Appell.

Zum Anfang des Films warnt der als Autor von Kanak Sprak bekannte Feridun Zaimoglu, der den gesamten Off-Text mit der Stimme einer übersättigten Bestie zelebriert, das Publikum mit den modifizierten Worten der Vorlage: „Gebe der Himmel, dass der Zuschauer, erkühnt und augenblicklich von grausamer Lust gepackt, gleich dem, was er sieht, seinen steilen und wilden Weg durch die trostlosen Sümpfe dieser finsteren und gifterfüllten Bilder finde, ohne die Richtung zu verlieren; denn wer ferner nicht mit unerbittlicher Logik und einer geistigen Spannung, die wenigstens seinen Argwohn aufwiegt, an diesen Film geht, (den) werden die tödlichen Emanationen in diesem seine Seele durchtränken wie das Wasser den Zucker. Es ist nicht gut, dass jedermann die folgenden Szenen ansehe; nur einzelne werden diese bittere Frucht genießen. Darum, bevor du scheue Seele tiefer eindringst in solch unerforschtes Ödland, lenke deine Schritte rückwärts und nicht vorwärts.“

Was folgt, brennt und ätzt sich seinen Weg in die tiefsten Winkel unserer Köpfe. Und dort, wo Phobien, Traumata und Urängste zuhause sind, setzt es sich einem Kuckucksei gleich ins gemachte Nest. Nicht vergessen: Es ist nur Knetmasse, nur Schauspiel, nur Ersatzflüssigkeit, es ist nur ein Film – aber es ist Maldoror.

Lars Brinkmann

Fr, 21 Uhr, Lichtmeß; weitere Informationen unter:

www.bak. spc.org/maldoror oder www.filmgruppe–chaos.de oder www.exploding-cinema.org