Discodidaktik für Fortgeschrittene

Mein House ist besser als dein House: Die WMF-Residents Mitja Prinz und Dixon haben mit „Audio Video Disco“ ihr erstes Album aufgenommen

von CORNELIUS TITTEL

Auch wenn Aretha Franklin anderer Meinung sein sollte, es reicht schon lange nicht mehr nur „young, willing and able“ zu sein. Man muss es wissen wollen, knietief in der Materie waten, nichts dem Zufall überlassen. Vorbei die Zeiten, wo es zu Ehre und Ruhm gereichte, gleichzeitig zwei Schallplatten und drei Gizeh-Blättchen ineinander blenden zu können. Das Rundumangebot, das die DJ Culture machte, war zu verlockend, als dass es nicht jeder dritte Heranwachsende gerne annehmen wollte. Fame, Exzesse, schnell verdientes Geld, Gratisdrogen und die passende magersüchtige Freundin: ein interessantes Hobby, das schnell zum Beruf werden konnte. Konnte.

Inzwischen sind die Claims abgesteckt. Veteranen jenseits der dreißig sitzen an den Schaltstellen, hüten ihre Pöstchen und lassen nur noch vereinzelt neue Gesichter an die Front. Der Weg nach oben ist ein steiniger geworden. Dixon und Mitja könnten ein Lied davon singen, wären sie nicht Dixon und Mitja und somit schon vor Urzeiten als minderjährige DJ-Role-Models sprichwörtlich vom Himmel gefallen. Noch lange nicht dreißig, haben sich die besten Freunde in unzähligen Nächten längst Klassikerstatus erspielt, ein Jahrzehnt Berliner Clubkultur entscheidend mitgeprägt, ohne dabei den eigenen Miles & More-Kontostand zu vernachlässigen.

Mit anderen Worten: Sie haben immer alles richtig gemacht und styletechnisch die Nase vorn gehabt, und selbst ihr Drogenkonsum schien stets mit der Krankenversicherung abgesprochen zu sein. Nun könnten sie eigentlich, als frühreife Elder Statesmen der gepflegten House-Unterhaltung, die Beine hochlegen, in froher Erwartung derer, die da kommen mögen. Doch wie das Leben moderner Klassiker so spielt: Meist kommt da nichts. Man muss selbst wieder ran, den nächsten Level zünden und das große Ganze nie aus den Augen verlieren.

Schon der Name ihrer Clubnacht im WMF hat etwas In-Granit-Gemeißeltes: Audio Video Disco. Ich höre, ich sehe, ich gehe in die Disco. Dixon und Mitja aber legen Wert auf die Feststellung, dass Disco für Lernen stehe. Discodidaktik: „Wenn man Musik, die einem am Herzen liegt, weitertragen will“ erklärt Mitja „muss das Gesamtkonzept stimmen. Man muss versuchen, das Optimalste an Sound, Licht und Visuellem rauszuholen. Wenn alles stimmt, kann man den Leuten Sachen unterjubeln, die sie nie zuvor gehört haben, Musik, von der sie nicht gedacht hätten, dass sie sie lieben würden.“

Eine Zeit lang sah es tatsächlich so aus, als müsste House in der Technohauptstadt Berlin ein auf lange Sicht tristes Nischendasein fristen. Auch das WMF in der Burgstraße setzte am Techno-freien Samstagabend lieber auf beatlastigen Eklektizismus und frühen Bristol-Sound à la Massive Attack und ließ Terranova den großen Raum beschallen, während sich Dixon im winzigen Keller des Clubs eine kleine, treue Anhängerschaft von Deep-House-Aficionados heranzog. „Ich wollte unbedingt House-Veranstaltungen im WMF machen, weil es der schönste Club der Stadt war“, erinnert sich Mitja, der damals vor allem E-Werk und Boogaloo beschallte, „aber da ging nichts. Das änderte sich erst, als bei Terranova um 4 Uhr morgens Schluss war, während sich bei Dixon im Keller bis 8 Uhr regelmäßig die unglaublichsten Szenen abspielten.“

Plötzlich sah auch die WMF-Leitung Potenzial in einer House-Nacht. Ehe man sich versah, war man zur Hauptattraktion aufgestiegen und konnte Bedingungen stellen. Nach einer dreiwöchigen Pause erlebte das WMF Anfang 95 seine Wiedergeburt als erste House-Adresse Berlins, die sie dank Mitja und Dixon bis heute geblieben ist. Während Dixon die Kunstform des Upwarmings bis zu einem Grad perfektionierte, der auch internationalen Stars die Münder offen stehen ließ, sorgte Mitja in der zweiten Hälfte der Nacht für eine härtere Gangart, die das volle House-Spektrum komplettierte.

Quer durch alle Szenen schien man sich auf Dixon und Mitja einigen zu können. Es dauerte nicht lange, bis eine beachtliche Anzahl jugendlicher Bewunderer allsamstäglich die DJ-Kanzel umlagerte in der Hoffnung, sich Tricks der beiden abschauen zu können. Die Respektbezeugungen gingen so weit, dass Diringer, heute mit Partner Highfisch ebenfalls WMF-Resident, sein Meerschweinchen auf den Namen Mitja taufte.

Dass die beiden heute nur noch unregelmäßig den Samstag bestreiten, ist nicht nur ihrem Erfolg geschuldet – es kann passieren, dass Dixon auf Japan-Tour ist, während Mitja vor zigtausend rhythmisch klatschenden Grönemeyer-Fans in der Waldbühne auflegt. Auch die Tatsache, dass das WMF mit jeder neuen Location weiter expandiert, verschreckt die beiden ein wenig. „Das schränkt die Möglichkeiten ein und verknappt das Spektrum“ so Dixon, „ein großer Laden will unterhalten werden. Da ist es schwer, zu experimentieren oder ein Set zu spielen, das extrem laid back ist.“ So kann die kürzlich erschienene „Audio Video Disco“-Mix-CD durchaus als Plädoyer gehört werden. Gegen: eine Verknappung des musikalischen Spektrums. Gegen: den momentan auch in ihrem Club grassierenden „Depri-80ies-Kalter-Krieg-Kokain-Vibe“ (Mitja). Für: eine Rückkehr der good old days, in denen mein House noch deines war. Ob sie ein Abschiedsgeschenk an den Club ist, der ihnen so vieles zu verdanken hat, bleibt abzuwarten.

V.A. „Audio Video Disco mixed and selected by Dixon & Mitja Prinz“ (WMF records)