Der nächste Akt

An der Hauptstadtkultur sind schon viele gescheitert: Christa Thoben hat die Brocken hingeworfen, Christoph Stölzl wird morgen abgewählt. Jetzt wird Adrienne Goehler Kultursenatorin, die streitbare Grüne aus Hamburg

von BRIGITTE WERNEBURG

Dumm gelaufen. Denn diesen Parteieintritt, den hätte er sich, von heute aus betrachtet, schenken können. Aber im Februar sah sich der Kultursenator so unter Druck geraten, dass er glaubte, er müsse sich den Regierenden Bürgermeister von Berlin durch diesen Schritt tatsächlich geneigter machen. Denn O-Ton Christoph Stölzl zu seinem Eintritt in die CDU: „Ein wichtiger Grund ist Eberhard Diepgen. Er ist ein Glücksfall für diese Stadt.“ So kann man sich täuschen. Oder auch täuschen wollen.

Christoph Stölzl hat sich allgemein getäuscht, über Diepgen, über die Anforderungen seines Jobs, und deshalb hat er allgemein enttäuscht. Eigentlich war er nach hundert Tagen genauso erledigt wie seine Vorgängerin Christa Thoben, die daraus aber die richtigen Konsequenzen zog. Für sie war Diepgen kein Glücksfall für diese Stadt. Sie trat zurück.

Christoph Stölzl, erfolgreicher Direktor des Deutschen Historischen Museums, dann kurzzeitig hochgeputschter Feuilletonchef der Welt, nachdem sich seine Ambitionen auf die Präsidentschaft der Stiftung Preußischer Kulturbesitz nicht erfüllt hatten, galt eigentlich als Meister im Verhandeln und Vermitteln. Der erste gewissermaßen intellektuell satisfaktionsfähige Kultursenator seit langem wurde als charmant, spielerisch, eloquent und alles andere als ängstlich eingeschätzt, bevor er seinen Posten antrat. Es war dann schon erstaunlich zu sehen, in welch kurzer Zeit diese Tugenden den Bach runtergingen.

Gescheitert ist Stölzl vor allem an der so genannten Opernreform. Drei Häuser, alle mit gewerkschaftsgestählten Mitarbeitern, von einem reformunwilligen Diepgen („mit mir wird es betriebsbedingte Kündigungen nicht geben“) ganz zu schweigen, da ließ sich nicht einmal das Reinigungspersonal der Opern privatisieren. Die Fusionierung der beiden großen Bühnen Deutsche Oper und Staatsoper wurde dann nicht zuletzt vom Bund unterlaufen, als der damalige Kulturstaatsminister Naumann plötzlich doch 3,5 Millionen Mark für Daniel Barenboims Staatskapelle auf den Tisch legte. Gescheitert ist er auch bei der Reform des Berliner Hochschulgesetzes, und von Strukturveränderungen seiner eigenen Verwaltung hat man auch nichts mehr gehört.

Jetzt also ist Adrienne Goehler am Zug. Eigentlich hätte man erwartet, die kulturpolitische Sprecherin der Berliner Bündnisgrünen, Alice Ströver, auf diesem Posten zu sehen. Sie wurde wohl auch gefragt, hat aber abgesagt. Sie gilt als kompetent und in die Angelegenheiten des Ressorts gut eingearbeitet. Sie hat Erfahrung mit dem Roten Rathaus und damit wohl ihre guten Gründe, nein zu sagen.

Die hätte zwar auch Adrienne Goehler gehabt, die seit 1989 die Hamburger Hochschule für Bildende Kunst leitet und daher weiß, was es heißt, zwischen den immer gleichermaßen berechtigen Forderungen der Kultur und eines Landeshaushalts zerrieben zu werden. Eigentlich hatte sie genug davon und wollte in Berlin ihr eigenes Studium der Psychologie mit einer Promotion abschließen.

Aber die 45 Jahre alte Politikerin will es nun doch noch einmal wissen – und sie ist nun tatsächlich ein Glücksfall für die gebeutelte Hauptstadt. Adrienne Goehler hat gelernt, sich mit eigenen Ideen durchzusetzen. Die biederen Hanseaten staunten nicht schlecht, als die freche Grüne, die selbst gar nicht der Meinung war, besonders viel von Bildender Kunst zu verstehen, die entsetzten Kunstprofessoren gleich dutzendweise auflaufen ließ und die in Routine sanft entschlafene Hamburger Hochschule in kurzer Zeit wieder zu einer angesehenen Adresse der Kunstausbildung machte. Mit Witz und Hartnäckigkeit verschaffte sie sich schließlich auch Respekt bei ihren Gegnern im Hamburger Senat wie auch im Lehrkörper ihres eigenen Hauses.

Die Chefs des Berliner Operntheaters zumal werden sich ein paar neue Argumente einfallen lassen müssen, selbst wenn diese Kultursenatorin nur wenige Monate im Amt sein sollte. Adrienne Goehler will klare Fakten auf dem Tisch sehen, auch wenn sie in der zunächst begrenzten Amtszeit die überfälligen Konsequenzen daraus noch nicht wird ziehen können. Mit bloßen Absichtserklärungen wird man sie nicht abspeisen können, und politische Hinterabsichten und Nebengeschäfte durchschaut sie auf Anhieb. Nicht zuletzt die Hamburger Grünen, die sie mitgegründet hat, bekamen das zu spüren, als sie 1990 alle internen Intrigen mit einem wütenden Austritt aus der Partei beendete.