Europäischer TV-TÜV untersucht Tallinn

Estland kriegt Besuch von der Eurovision. Sie prüft, ob dort im nächsten Mai der Grand Prix ausgerichtet werden kann

BERLIN taz ■ Kaum hatten Tanel Padar und Dave Benton am späten Abend des 12. Mai in Kopenhagen für Estland den Grand Prix Eurovision gewonnen, mischte sich mit dem Respekt der Konkurrenz vor dem ersten Sieg eines osteuropäischen Landes bei diesem Pop-Event eine gewisse Sorge: Kann dieses kleine Land mit nur 1,5 Millionen Einwohnern dieses Ereignis bewältigen?

In dieser Besorgnis steckte gewiss auch der Neid von Rivalen wie Malta und Kroatien, schon wieder nicht Ausrichter dieser – vom touristischen Marketingwert her fast unschlagbaren – Veranstaltung zu werden. 6 Millionen Mark Zuschuss steuert die Eurovision zum Grand Prix bei. Finanzmächtige Eurovisionsländer wie Großbritannien und Frankreich fragten sich, ob Estland das Geld dazu nutzen könnte, seine öffentlich-rechtliche TV-Gesellschaft zu sanieren – die Eurovisionsumlage also nur einsteckt, um ein möglichst billiges Event zu übertragen.

Streit um Termine

Letztere Besorgnis ist auch der Grund, dass sich am Montag im Tallinner Radisson-Hotel die Eurovision Song Contest Reference Group trifft. Denn fraglich war nie, dass Estland den Grand Prix veranstaltet – öffentliche Scharmützel um diese Frage gingen nur vordergründig darum, ob das kleine Land sein Austragungsrecht wieder zurückgibt. Tatsächlich waren es nur gewöhnliche Budgetverhandlungen.

Und die sind entschieden. Das estnische Fernsehen (ETV) hat vom Ministerpräsidenten Maar die Zusage, viel Geld zu bekommen. Denn ETV, nur so gut ausgestattet wie der Offene Kanal Berlins, kann die 6 Millionen Mark, die es aus eigener Tasche bezahlen müsste, nicht aus seinem Etat schneiden, ohne das eigene Programm ansonsten einzustellen. Strittig sind jetzt nur noch der Termin und die Örtlichkeit. Entweder findet der nächste Grand Prix am 11. Mai statt – also eine Woche vor Pfingsten. Oder am 25. Mai, eine Woche nach Pfingsten. Den Esten wäre der spätere Termin lieber, weil sie dann ihre liebste Option verfolgen könnten, die Veranstaltung open air zu zelebrieren. Ende Mai ist die Regenwahrscheinlichkeit in Tallinn viel geringer als Mitte des Monats. Aber selbst wenn es schüttet, so heißt es, wäre das zwar schade für die Live-Besucher, aber entscheidend sei doch nur, dass die Mikrofone, die Kameras und die Künstler trocken blieben.

Herberge statt Hotel

Möglich wäre auch, den Grand Prix im neuen Kongresszentrum der Hauptstadt auszutragen, in dessen größten Saal 10.000 Zuschauer passen. Drittens gäbe es noch ein Fußballstadion, ähnlich dem in Kopenhagen. Geklärt werden soll auch die Frage um die nötigen Hotels. 3.500 Herbergszimmer stehen bereit, das Gros allerdings, so Jürgen Meier-Beer vom NDR, von einem Niveau, das dem deutscher Jugendherbergen nahe kommt. „Aber das wäre ja nicht so schlimm. Es gibt ja kein Menschenrecht auf Fünfsternehotels.“ Für Snobs gäbe es ohnehin den nur 18 Minuten dauernden Helikoptershuttle aus Helsinki, Finnlands Kapitale, wo ausreichend Luxussuiten und goldene Wasserhähne zur Verfügung stehen.

Von der Idee abgesehen, dass nächstes Jahr im ehemaligen olympischen Segelrevier von 1980 Passagierschiffe vor Anker gehen, um selbst Hotelbetten anzubieten – womöglich auch die deutsche „MS Europa“ –, ist der Grand Prix Eurovision eine Sache estnischen Prestiges, um der Europäischen Union zu demonstrieren, wie sehr das baltische Land gewillt ist, selbst größte Managementleistungen zu bewältigen. Juhan Paadam, Fernsehunterhaltungschef bei ETV, sagt nur lapidar: „Man traut es uns nicht wirklich zu. Europa wird staunen, was wir können.“

JAN FEDDERSEN