Der ANC ist nicht mehr cool

Vor 25 Jahren läutete der Schüleraufstand von Soweto die Demokratiebewegung und die Massenproteste gegen die Apartheid in Südafrika ein. Heute will die Jugend des Townships von der Vergangenheit und von Politik überhaupt nichts mehr wissen

aus Soweto MARTINA SCHWIKOWSKI

Mit überlangen, knallig lackierten Fingernägeln klickt Wisani auf der Computermaus herum. „Ich kann so viel damit machen“, sagt die junge Studentin begeistert. Ihr perfekt imitierter US-Akzent täuscht im ersten Augenblick darüber hinweg, dass sie aus Soweto stammt. Doch dann wieder nicht, denn Amerikanisch ist ein beliebter Trend unter den Jugendlichen, es ist einfach „cool“.

Und Wisani Samboro ist cool. Sie studiert Computerprogrammierung und sitzt fast täglich im Digital Village in Soweto. Gefragt nach dem Schüleraufstand vom 16. Juni 1976 in Soweto, Beginn der südafrikanischen Revolte gegen die Apartheid, schüttelt sie den Kopf und sagt: „Ich muss nach vorne schauen, um mein Ziel zu erreichen.“ Das Datum, das sich morgen zum 25. Mal jährt, ist nirgends abgespeichert.

Das Digital Village in Soweto ist für Jugendliche ein Treffpunkt. Lebensläufe, Bewerbungsschreiben, Trainingskurse – 30 Computer machen alles möglich. Bill Gates eröffnete das Zentrum 1997 und hat es mitfinanziert. In einem großen Raum mit den roten Ziegelmauern stehen die Anschlüsse zum Global Village. „Die Welt wird von der Technologie kontrolliert“, meint der 24-jährige Verkäufer Elvis Ludendo. „Das ist unsere Zukunft.“

Protestmarsch in Soweto vor 25 Jahren – das ist auch für ihn kein Begriff. Politisches Bewusstsein ist bei den Jugendlichen ausgeklammert. Der Projektmanager im Digital Village bringt es auf den Punkt: „Die meisten hier kommen zum Vergnügen, surfen nach ihren musikalischen Helden und wollen easy life“, sagt Joe Mphahlele. „Sie wollen Auto und Haus. Und das möglichst schnell.“ Doch die Realität ist hart. Die Arbeitslosigkeit in Soweto liegt bei über 40 Prozent. Es gibt zu wenig Häuser, Strom- und Wasserrechnungen sind unbezahlbar. Kriminalität und Aids beherrschen die Zukunft.

„Die heutigen Kids sind absolut ahnungslos“, urteilt Dumisani Ntshangase, Soziolinguist an der Witwatersrand Universität und Autor des gerade erschienenen Buches „Soweto 1976“. Nach vielen Gesprächen mit damaligen Schülern stellt er fest: „Die Kinder der Protestler sind nicht politisch orientiert. Sie bleiben arbeitslos oder rutschen auf die schiefe Bahn. Sie wurden in einem Klima der Angst geboren.“

Der Marsch der 20.000 Schüler am 16. Juni 1976, bei dem 200 durch Kugeln und Angriffe der Polizei umkamen, gilt als der Anfang der Demokratiebewegung in Südafrika. Die heutige ANC-Regierung feiert den 16. Juni immer noch – zum morgigen 25. Jahrestag wird Präsident Thabo Mbeki in Soweto erwartet, begleitet von einem Aufmarsch der ANC-Jugendliga.

Der Bevölkerung von Soweto wird das ziemlich egal sein. Die ANC-Regierung hat versagt, findet der 45-jährige Joe Mphahlele. „Ich sah Zeichen, dass unser Lebensstandard besser wird“; doch unter Mbeki, der 1999 Nelson Mandela als Präsident ablöste, sei er schlechter geworden. Der Präsident sei nur in der Elite und im Ausland populär. „Aber die Menschen wollen ihn nicht wirklich.“ Sie seien hungrig und frustriert, das könne sogar zu einem neuen Aufstand führen.

„Wir haben den Traum von der Regenbogengesellschaft verloren,“ sagt Buchautor Ntshangase. Dafür macht er Mbeki verantwortlich. „Er ist so intellektuell, dass ihn seine eigenen Leute nicht verstehen.“ Anstatt die Vaterrolle zu spielen, regiere er autokratisch. „Er macht mir Angst.“

Junge Leute wie Wisani und Elvis haben Träume, aber dabei geht es nicht um eine politische Vision, sondern um sichere Arbeit und Spaß. „Wir müssen die Vergangenheit ruhen lassen“, meint Wisani. „Sonst kommen wir nicht weiter.“ Wählen für eine Partei? Das kommt nicht in Frage. Und sei es der ANC.