Eintauchen ins Ornament

Goldkettchen, Armbeugen und andere homoerotische Details: Wie zeigt man das Verhältnis zwischen Künstler und Modell? Der Fotograf David Armstrong stellt seine ans Fin de Siècle erinnernden „Portraits and Interiors“ in der Galerie M+R Fricke aus

von OLIVER KOERNER VON GUSTORF

Es ist das ferne Licht des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Manchmal scheint es die „Portraits and Interiors“ von David Armstrongs zu erhellen. Seine gleichnamige Einzelausstellung in der Galerie M+R Fricke wurde zeitgleich mit „Cityscapes and Landscapes“ eröffnet, die in der Düsseldorfer Niederlassung der Galerie zu sehen sind. Was die Zweiteilung andeutet, offenbart sich als grundlegender Wesenszug in Armstrongs Arbeiten – als eine Konfrontation von verinnerlichtem und entäußertem Leben, die in dem Moment der fotografischen Aufnahme ihren Höhepunkt erreicht.

„Portraits and Interiors“ reflektiert ein in Kunst und Literatur des Fin de Siècle oft variiertes Thema: das ambivalente Verhältnis zwischen Künstler und Modell, zwischen Dichter und Muse oder Mäzen und Mätresse. So sind es Stricher, die mit Armstrongs Innenansichten korrespondieren, Schwarze und Latinos, die er in New Yorker Stundenhotels oder in seiner Wohnung fotografierte. Während die Tiefe der Räume in malerisch wirkenden Unschärfen verschwimmt, sind es unmissverständlich erotische Details, auf die sich die Kamera einstellt: die Neigung eines angewinkelten Armes, eine Goldkette, die Wölbung einer Brust, Geschlechtsteile, Tätowierungen, der Faltenwurf zerwühlter Bettdecken.

Es scheint, als habe sich Armstrong mit „Portraits and Interiors“ unverhohlen der Sichtweise konventioneller homosexueller Aktfotografie genähert. Tatsächlich zitiert er dieses Sujet mit derselben eleganten Ernsthaftigkeit wie auch andere Einflüsse, die sein Werk geprägt haben. Seine 1997 erschienene autobiografische Schwarzweißchronik „The Silver Cord“ kennzeichnet ihn als heimkehrenden expatriate, als kosmopolitischen Reisenden zwischen der Neuen und der Alten Welt. Wie für einen Charakter von Armstrongs literarischen Vorbildern Henry James oder Edith Wharton verbindet sich mit der durch die Hinwendung zu Europa ausgelösten Debatte um Vorbild, Einfluss und Emanzipation die grundlegende Frage nach künstlerischer und persönlicher Identität. War für die amerikanischen Impressionisten Paris die „Stadt des Lichts“, so fand die durch Armstrongs lebenslange Freundin, die Fotografin Nan Goldin, zu Weltruhm gelangte „Boston School“ ihre Inspiration im weiten Grau Berlins – in seiner Untergrundkultur, in seiner klassizistischen Architektur, in Nachtclubs, Hinterhofwohnungen und schwulen Bars.

Armstrongs stilisierte Bilder von Liebhabern, Freunden und Transvestiten, seine nebelhaften Aufnahmen von barocken Anlagen, Vororten und urbanen Landschaften schildern wie auch Goldins Arbeiten über Dekaden hinweg die schmerzhafte und sehnsüchtige Natur menschlicher Beziehungen. Der Blick, den er mit „Portraits and Interiors“ auf sein Gegenüber wirft, ist vom Moment des Übergangs bestimmt. Armstrongs Fasziniertsein von den Haltungen der europäischen Kultur des 19. Jahrhunderts, die sich in den klassischen Posen seiner Modelle und den Ornamenten des Interieurs äußert, wandelt sich im angedeuteten Anbruch der Moderne, der wie diffuses impressionistisches Licht in den Raum fällt.

Zugleich verschwimmen die traditionellen Positionen von Künstler und Modell in einem Akt des Begehrens, dessen Erlösung Marcel Proust als Moment „hellsichtiger Wollust“ beschrieben hat. Armstrongs subjektive Innenwelten scheinen in ihrer Kontemplation der realen Welt entrückt, die wie im Rausch nur noch als undeutliches „Äußeres“ wahrgenommen wird. Dieser enthobene Zustand der Verinnerlichung evoziert ein Bild aus Prousts Kindertagen, den biblischen Mythos vom Niedergang der Welt, des in der Arche eingeschlossenen Noah, von dem Proust erkannte, „dass er die Welt nie so gut sehen konnte wie aus der Arche, obwohl sie geschlossen war und Nacht über der Erde lag . . .“

Bis 7. 7., Di.–Fr. 14–19, Sa. 12–16 Uhr, M+R Fricke, Linienstraße 109