Durch Berliner Wohnzimmer

Heute startet Berlins privateste Stadtrundfahrt. Bei der „Pantoffeltour“ stehen echte Berliner und ihre Wohnungen im Vordergrund. Mit dem Bus geht es von Wohnzimmer zu Wohnzimmer, dazwischen gibt es die passenden Snacks

von KATJA BIGALKE

„Vor der Tür Pantoffeln an“ gehört zum Programm der privatesten Stadtrundfahrt Berlins. Besichtigt werden Wohnzimmer: „Damit Touristen neben den üblichen Stadtrundfahrten auch mal das richtige Berlin, das Leben der Berliner, kennen lernen“, sagt Kerstin Kliemt von der Event-Agentur Kliemt-Konzept, die die Pantoffeltour organisisiert. Hinter die Fassaden gucken, könnte man das Ganze auch nennen. So ist Kliemt auch auf die Idee gekommen: Beim Renovieren ihrer Kreuzberger Wohnung fand sie unter den Tapeten ihres Schlafzimmers ein zimmerumfassendes Gemälde. Über dem Fenster die aufgehende Sonne, an den Seitenwänden Rosenlauben unter hellblauem Pufferwolkenhimmel, an der Rückwand ein Gewitter. „Kitschig“, findet auch Kliemt, aber seit sie beschlossen hat, das Gemälde an den Wänden zu lassen, ist ihr Schlafzimmer zur Nachbarschaftsattraktion geworden. Und Attraktionen lassen sich bekanntlich verkaufen: Einige Menschen sind voyeuristisch, andere exhibitionistisch, dazwischen funkt die Agentur, die im klimatisierten Bus die Voyeuristen zu den Exhibitionisten fährt. Nahe liegend.

Zwischen den Stationen gibt es Snacks. Auf dem Weg zu Helga Schönfeld in Karlshorst Obst. „Weil die Wohnung von Frau Schönfeld so organisch ist“, sagt Reisebegleiterin Valentina. Helga Schönfeld ist eine gemütliche Frau mit einem Touch ins künstlerische. In ihrer Wohnung hat die Psychotherapeutin erst mal alles abgezogen: Wände, Türen, Böden. Dann kam die Auseinandersetzung mit der Natur der Wände: die hat sie schließlich mit einer Mischung aus Marmormehl, Quark und Speiseöl verspachtelt. „Damit sie atmen können“, sagt sie. Am Ende des Arbeitsprozesses hat sich Schönfeld selbst eingebracht, Öfen und Kamine eingebaut, Fliesen für die Küche gebrannt. Jetzt ist die Küche gelb und rustikal, das Bad weiß und italienisch mit einer Michelangelokopie ihrer Tochter an der Wand und das Wohnzimmer in „ihrem Stil“: Überall Tücher auf Sofas und Sesseln, viele Kerzen, kleine Vasen. Sehr ruhig, ein bisschen Toskana. Ihre Wohnung stellt Schönfeld genauso gerne aus wie ihre Kunstwerke. Lebensgefühl zum Vorzeigen.

Gina ist gar nicht Toskana, Gina ist Techno. Mit ihrem 4-jährigen Amerikaaufenthalt hat sie „das spießige Leben endgültig hinter sich gelassen“, wie sie sagt. Amerika ist halt „mehr funny“. Besonders angetan war die 52-jährige Oma aus Ostdeutschland von Venice Beach und den Bodybuildern. Das sieht man auch. Sie ist solariumgebräunt, hat eine Fitnessfigur und falsche lange Haare. Zu lauten Bässen hüpft sie zwischen ihren Wohnzimmern hin und her. Davon hat Gina nämlich zwei. Das eine beigebraun, mit Mahagonischrankwand, Teppichen an den Wänden und Blümchendecke auf dem Couchtischchen. Das andere bunt, mit mintfarbener Ledercouch, Kaminplagiat und Delfinspringbrunnen aus Plastik. „So war ich früher“, sagt Gina zu dem „Spießer-Wohnzimmer“. Heute ist sie stilumfassend. Gina hat alles: Kuckucksuhren, Plüschtiere, überdimensionale Kunstspinnen, Heimatbilder, goldumrahmte Glasvitrinen, ein rosa Schlafzimmer mit Himmelbett, Spitzenbettdecke und rotem Lampenherz. Ihr Bett ist von unten beleuchtet. Auch diese Idee hat sie aus Amerika. Aus den Autohäusern. „Da sind die Autos immer von unten beleuchtet“. „Cool“ findet sie das. Berlinernd ruft sie auch „Baby, I love you“ und meint damit ihre Katze. „Wenn sich Leute bei mir inspirieren können, finde ich das gut.“ Ihrem Mitteilungsbedürfnis gibt sie auch als regelmäßige Talkshowteilnehmerin Raum. Sie ist also an die Selbstdarstellung gewöhnt.

Stahl-Stefan ist die letzte Etappe der Pantoffeltour. Stefan lebt in einem Laden. Für ihn ist es normal, dass sich Leute sein Wohnzimmer anschauen. Da steht ein großes Stahlbett, auf dem er auch manchmal schläft, direkt vor dem Schaufenster. Das macht nichts, weil Stefan seine Möbel verkauft.

Der ursprüngliche Verpackungsmittelmechaniker hat vor zehn Jahren sein Dasein als „Industriesklave“ hinter sich gelassen, der Stahlkunst willen. Alles Mögliche schweißt er nun zu Möbeln zusammen. Aus alten Nähmaschienen hat er Tische gemacht, aus schmiedeeisernen Zäunen Betten. Auf die Idee ist er gekommen, weil er ein „Kfz-Liebhaber“ ist, immer schon alte Motorräder gesammelt und repariert hat. Da hat er die „Literatur der alten Motoren studiert“ und daraus einen Wohnstil abgeleitet. Schüchtern steht er nun in seinem Wohnzimmer. Eigentlich reicht es, wenn alle seine persönliche Einrichtung sehen und seine Wohnung potenziell leer kaufen können. Um ihn selber sollte es eigentlich nicht gehen, sagt er.

Doch genau um die Leute geht es. Sie sind in der 185 Mark teuren Tour inbegriffen. Zur Entschädigung bekommen sie schließlich Besuch und „ein Honorar, für das sie sich einen Blumenstrauß kaufen können“.