Wir klonen uns ein Gespenst

In der Geisterbahn der Berliner Provinzpolitik geht mal wieder der Kommunismus um

Die CDU müsste sehr froh sein, wenn sie einen Lenin-Klon im Osten Berlins aufspüren könnte

Seit 1924 ist er tot, aber noch immer verbreitet Wladimir Iljitsch Lenin Furcht und Schrecken, sogar bei Naturwissenschaftlern, die ja eigentlich ganz vernunftbegabte Menschen sein sollen. Der Moskauer Biologe Ilja Sbarskij hat sich kürzlich vehement gegen das Klonen Lenins ausgesprochen. Theoretisch sei ein Klonen von Lenin durchaus möglich, zumal in dem einbalsamierten Leichnam „sicherlich genügend DNA-Moleküle“ vorhanden seien, sagte Sbarskij der Agentur Interfax, um dann klarzustellen: „Aber es hat kaum Sinn, einen derart strengen, auf Zerstörung des Menschen bedachten Mann wie Lenin zu klonen.“

Es ist schon seltsam, dass ein Biologe und Mitglied der Russischen Akademie der Wissenschaften so redet wie ein Exorzist im Endstadium. Lenin scheint das abergläubische Potenzial aus allen herauszukitzeln, die mit ihm zu tun haben: 1917, zu Lebzeiten, wurde er von Zürich aus in einem verplombten Eisenbahnwaggon durch Deutschland nach Russland geschleust wie der leibhaftige Gottseibeiuns, der Teufel aller Teufel. Rund 84 Jahre später blamiert sich ein Wissenschaftler neben Lenins einbalsamierter Hülle: Menschen setzen sich aus ihren Erbanlagen zusammen – und zu einem großen Teil aus Umwelteinflüssen. Ein Lenin-Klon, der so „streng auf Zerstörung des Menschen bedacht“ wäre, wie Sbarskij ihn an die Wand malt, müsste unter denselben Bedingungen aufwachsen wie der 1870 geborene Lenin: in gleichen Familienverhältnissen, inmitten einer russischen Zarendiktatur und mit einem noch frischen, faszinierenden und gern gelesenen Kommunistischen Manifest von Karl Marx in der Hand: „Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst des Kommunismus.“ Heute holt man das Gespenst aus dem Schrank, um kleine Kinder zu erschrecken – oder Erwachsene, die politisch kleine Kinder geblieben sind.

Im großen publizistischen Wirrwarr, im allgemeinen moralischen Händeringen über gentechnische Entwicklungen scheinen auch Wissenschaftler zu vergessen, was Klonen eigentlich ist. Die äußerlich identische Replikation von Menschen heißt ja nicht, dass man denselben Menschen wiederherstellen kann – auch natürliche Klone, also eineiige Zwillinge, entwickeln sich zu voneinander verschiedenen Menschen, ob ihre äußeren Bedingungen nun sehr ähnlich oder sehr unterschiedlich sind. Der künstliche Vorgang vollzieht sich so: Ein Zellkern wird entnommen und in eine entkernte Eizelle injiziert. Daraus entwickelt sich das genetische Duplikat des Zellkernspenders, aber nicht noch einmal der Zellkernspender selbst. Wenn heutige Kaisertreue also ausriefen, „Wir wolln unsern alten Kaiser Wilhelm wiederham!“, dann könnten solch bizarre Fans das zwar wahrmachen, sofern sie denn noch etwas Kaiser-DNA fänden. Dass so ein Kaiserschmarrn später dann auch nach ihren Wünschen ausfiele, ist allerdings höchst zweifelhaft.

Das Seltsamste an der Debatte übers Klonen aber ist: Leute, die allesamt so aussehen, so reden, so schreiben, so handeln und sich so benehmen wie geklont, beschreien permanent und panisch ihre Angst vorm Klonen. Es sind speziell die medienglatten Existenzen, die öffentlichen Mutanten, die auf diese Weise ihre Angst vor sich selbst dokumentieren, ihre Angst davor, dass alle schon bald qua Reagenzglas so degeneriert sein müssten, wie sie, die doch einmal auf natürliche Weise hergestellt wurden, es längst sind.

Das Bedürfnis nach Horror und Schauder ist unauslöschlich. Es ist wie im Grimmschen Märchen von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen: „Wenn’s mir nur gruselte, wenn’s mir nur gruselte“, beklagt sich der Mann über seinen Mangel an Angst- und Schreckensempfindung, weil er sich nicht von den anderen unterscheiden möchte, denen es en gros gruselt – und sei es nur, weil sie so viel Freude daran und so viel Nutzen davon haben. Die Berliner CDU beispielsweise müsste gerade sehr froh sein, wenn sie einen Lenin-Klon im Osten Berlins aufspüren könnte. Gern zöge sie ihn aus dem Koffer und zeigte ihn vor wie auf der Kirmes, in der Geisterbahn. Die abgewirtschafteten Provinzpolitiker setzen in ihrer Verzweiflung noch einmal auf die Angst vor den Kommunisten, auch wenn es längst keine mehr gibt, bloß noch ihre Halluzination. Die CDU spielt Xylophon auf dem Gerippe der SED, weil sie sonst nichts kann und weiß und hat. Man werde Berlin nicht kampflos in die Hände der Kommunisten fallen lassen, tönt es bereits aus der CDU: Da wird nicht nur der Kalte Krieg simuliert, sondern schon der Mai 1945, der Endkampf bis zur letzten Patrone. Die CDU hofft auf Wähler, die man schon mit ein paar Sozialdemokraten aus der PDS bange machen kann, und beschwört, Marx und Lenin aufleben lassend, noch einmal das Gespenst des Kommunismus. Aber das funktioniert nicht. Lenin bleibt im Grab. Das heutige Gespenst des Kommunimus heißt Petra Pau und sieht aus wie Pumuckl. WIGLAF DROSTE