Eine Westberliner Karriere

Eberhard Diepgen wird heute als Regierender Bürgermeister abgewählt. Damit geht ein jahrzehntelang erfolgreiches Modell der Privatisierung politischer Macht durch eine entschlossene Clique zu Ende. Zielgerichtet eroberte diese erst die Parteigremien der Berliner CDU, dann die Regierung

von JÜRGEN BUSCHE

Am Anfang dieser Karriere, die jetzt mit einer spektakulären Abwahl zu Ende zu gehen scheint, stand eine nicht minder spektakuläre Abwahl, die vor 38 Jahren tatsächlich einen Neuanfang in Berlin einleitete. Im Februar 1963 fand an der Freien Universität eine Urabstimmung statt, bei der es darum ging, den soeben gewählten Asta-Vorsitzenden Eberhard Diepgen aus seinem Amt zu entfernen.

Diepgen war nicht nur Mitglied der Jungen Union, sondern auch der schlagenden Burschenschaft „Saravia“. Die Satzung der FU verbot aber schlagende Verbindungen, und so war es weithin als Affront empfunden worden, dass der Konvent diesen damals 22 Jahre alten Jurastudenten gewählt hatte. An der Urabstimmung beteiligten sich mehr als 70 Prozent der Studentenschaft. 64,5 Prozent votierten gegen Diepgen. Auch dem Konvent wurde das Misstrauen ausgesprochen. Doch bei der Neuwahl zu diesem Gremium erreichten die Gruppen rechts der Mitte wiederum die Mehrheit. Das bedeutete, so resümieren es die Historiker des SDS, Fichter und Lönnendonker, „dass ein Teil der RCDS-Wähler in der Urabstimmung gegen die stillschweigende Rehabilitierung der schlagenden Verbindungen an der FU votiert hatte“. Näherhin bedeutet das auch, dass dieser Teil der den Unionsparteien nahe stehenden Hochschulgruppe beziehungsweise ihre Wähler Diepgen eine Niederlage bereitet hatte. Das sollte dieser nie vergessen.

Partei als Beruf

Was heute, in diesen Wochen, in diesen Monaten in Berlin zu Ende geht, ist ein lange Zeit erfolgreiches Modell der Privatisierung politischer Macht durch eine zu langfristiger Zusammenarbeit entschlossene Clique. Nicht wie später ihre linken Gegenspieler durch einen Marsch durch die Institutionen wollten Diepgen und seine Freunde die Herrschaft über die Stadt gewinnen. Sie zogen es vor, zunächst mit der Eroberung der Parteigremien in einer der großen, staatstragenden Parteien unumschränkte Herrschaft über diese Organisation zu gewinnen. Gelänge ihnen dies, würden ihnen die regierungsabhängigen Institutionen nach und nach von selbst zufallen.

Diese Marschroute war effektiver und zuverlässiger. Hier konnte vieles außerhalb der Öffentlichkeit geschehen. In der CDU wurde weniger diskutiert als anderswo. Hier ging es vor allem darum, den entscheidenden Ideen Adenauers, Antikommunismus, Westbindung, militärische Partnerschaft in der Nato, eine Massenbasis zu schaffen, die bei bedeutenden Wahlen mobilisiert werden konnte. Jenseits dieser unumstrittenen Ziele machte in der Partei auf kommunaler Ebene, auch auf Landesebene, jeder seinen eigenen Kram. Dafür gab es etliche Vereinigungen, halb offizielle Freundeskreise und Interessengruppen. Wahlen zu höheren Parteiämtern oder für Mandate mussten stets komplizierte, nicht selten vertrauliche Absprachen vorausgehen, um für diesen oder jenen eine Mehrheit auf den kleinen und etwas größeren Parteitagen zu erreichen. Ideale Voraussetzungen für Leute, die weniger an politischen Ideen als an den realen Möglichkeiten der Parteimacht interessiert waren.

Nicht Politik als Beruf, sondern Partei als Beruf müsste die Studie überschrieben sein, die diese Praxis untersuchte. In der geteilten Stadt Berlin, in der Frontstadt war die Gemeinsamkeit der Demokraten das Programm, das starken Parteien Partizipation an üppig alimentierten Pfründen sicherte, so sehr, dass es für kühl rechnende Parteifunktionäre bald nicht mehr entscheidend war, ob ihre Partei stärkste Regierungspartei oder überhaupt Regierungspartei war.

Diepgen und seine Freunde hatten die CDU längst zu ihrer Bonanza gemacht, bevor der Verschleiß der SPD in solchen Verhältnissen die Regierungsfähigkeit der Sozialdemokraten in Berlin beendete. Nicht so sehr Verschleiß als erkennbare Dürftigkeit hatte inzwischen aber auch die CDU heruntergebracht.

Für die SPD sollte Anfang der 80er-Jahre Jochen Vogel, für die CDU Richard von Weizsäcker neuen Schwung nach Berlin bringen. In dem Senat, den Weizsäcker dann bildete, sorgten gut beleumundete Politiker aus dem Westen: Hanna-Renate Laurien, Norbert Blüm, Elmar Pieroth nach mancher Seite hin für Vertrauen in die neue Berliner Politik. Im Abgeordnetenhaus sorgte Diepgen als CDU-Fraktionsvorsitzender, dass nichts schief ging. In der Partei brauchte er sich längst keine Sorgen mehr zu machen.

Als 1983 der nun 42 Jahre alte Diepgen daran ging, dem zum Bundespräsidenten bestimmten Weizsäcker im Amt des Regierenden Bürgermeisters nachzufolgen, da gab es in den Ländern der fernen Bundesrepublik noch eifrige Diskussionen darüber, ob die herzhafte Schulsenatorin Laurin sich nicht doch bei den Berliner Delegierten mit ihrer Kandidatur um die Weizsäcker-Nachfolge durchsetzen könnte. Kenner der Berliner CDU-Szene hielten das für aberwitzig. Diepgen konnte sich auf die Seinen verlassen. Das Adjektiv, das damals am meisten an seinen Namen geheftet wurde, lautete: blass. Zweifel, ob er die CDU bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus zum Sieg führen könne, beherrschten die Zeitungen. 1985 klappte es dann doch. 1989 klappte es nicht mehr. Regierender Bürgermeister wurde der Sozialdemokrat Momper.

Ungebrochene Macht

Diepgens Machtstellung in der CDU blieb ungebrochen. Die Mauer wurde geöffnet, die DDR ging unter, Mompers Senat brach auseinander. Diepgen war wieder da. Diepgen machte Politik. Es war eine Politik, die gelegentlich auch durchpaukte, was in der Stadt getan werden musste, eben weil es vor allem eine Stadt war. 1993 ging Diepgen daran, ohne Rücksicht auf die anderen neuen Bundesländer, die Löhne im öffentlichen Dienst Berlins anzugleichen. Das war mutig und richtig. Diepgen stand auf der Höhe seines Ansehens. Er war 52 Jahre alt. Berlin musste eine Milliarde mehr aufbringen, um sich das leisten zu können. Aber Berlin wurde deutsche Hauptstadt. Ein gewaltiger Boom schien bevorzustehen.

Jetzt wäre die Geschichte der Berliner Bankgesellschaft zu erzählen. Aber die ist im Augenblick bekannt genug. Ebenso wie die Geschichte der Berliner Olympiabewerbung. Es gibt noch andere Geschichten. Immer spielen Diepgens CDU-Freunde darin eine ungeklärte Rolle. Die Macht in der Partei stand. Nicht anders stand die Parteimacht. Diepgens Rechnung war aufgegangen. In der CDU konnte ihm niemand gefährlich werden. Außerhalb der CDU auch nicht. Es war, auch zehn, zwölf Jahre nach dem Fall der Mauert dort, wo es um diese Macht geht, alles gleich geblieben. Westimporte wie noch 1980 brauchte man kaum noch zu fürchten. Auch die SPD denkt jetzt nicht daran. Nur die Grünen holen Adrienne Goehler aus Hamburg.

Noch hat Diepgen seine Berliner CDU im Griff. Aber was ist sie noch wert? Mit seinen Freunden hatte Diepgen noch vor wenigen Jahren den Versuch schon im Ansatz torpedieren können, den angesehenen Umzugsminister Klaus Töpfer zum Hauptstadt-Bürgermeister zu machen. Umgekehrt hatte Töpfer, nach einigen gründlichen Einblicken in die Besonderheit der Berliner CDU lieber das Weite, das ganz Weite gesucht, um dem zu entkommen. Er lief bis Nairobi. Was ist die Berliner CDU noch wert? Die Wähler werden es uns im Herbst sagen. Diepgen ist jetzt 60 Jahre alt. Es gibt Politiker, mit denen verglichen er ein junger Mann ist. Seine dritte Abwahl muss nicht seine letzte sein.