: Der Rucksack hilft in allen Lebenslagen
Wer kommt eigentlich zum Kirchentag? Jede Menge Jugendliche und viele über 50-Jährige. Die Zwischengeneration fehlt dagegen fast ganz
FRANKFURT/MAIN taz ■ 100.000, auch 300.000 Menschen in Frankfurt, das verläuft sich, zerstreut sich in der Stadt. Besuchermassen wälzen sich nur im Zentrum, auf den Römerberg und der Zeil. Der genuine Kirchentagsbesucher ist in diesem Jahr nicht am lila Halstuch zu erkennen, sondern er trägt Rucksack. Er ist gut gerüstet und noch besser zu Fuß. Und sie und er sind entweder sehr jung oder über 50 Jahre alt, dazwischen scheint immer und bei allen Veranstaltungen eine Generation zu fehlen.
Den „weiten Raum“ des diesjährigen Mottos aber gilt es für alle permanent zu durchschreiten zu den weit verstreut liegenden Veranstaltungsorten. Der Rucksack hilft in allen Lebenslagen – mit Stadtplan, frischen Socken, Pflaster und Verpflegung. Musik allenthalben, Gospel, Techno-Messe und für die Fußfaulen SMS-Gottesdienst per Handy. Der Schwerpunkt „Geld“ wird mit einem Protestgang gegen die Feiertagsöffnung der Frankfurter Börse begleitet, der Wille zur Ökumene in Prozessionen bekräftigt.
Zu den drei diesjährigen „G“-Worten Glaube, Geld und Gentechnik kommen gerade für die Jungen Globalisierung und „gegen Gewalt“ hinzu. Beherrscht aber wird der Kirchentag auch von den inoffiziellen Themen, im Vorfeld des 2003 in Berlin geplanten Ökumenischen Kirchentages vor allem dem der Gemeinsamkeit der Christenheit. Der Krach um die Liturgie des Feierabendmahles zwischen Protestanten und Katholiken konnte kurz vor Beginn nur mühsam beigelegt werden. Kirchentagspräsident Martin Dolde entschuldigte sich dafür, dass „Menschen sich durch den vorgelegten Text verletzt fühlen konnten“ und überließ die Gestaltung der Gottesdienst gestern Abend den einzelnen Gemeinden. Zur ökumenischen Fronleichnams-Prozession mit seinem Widerpart, dem katholischen Limburger Bischof Kamphaus, schritt er dann tapfer voran und trug die Bibel wie sein Päckchen. Kamphaus setzte auf Versöhnung und nannte die Teilnehmenden in seiner Predigt „liebe Geschwister im Glauben“, ein mit großem Beifall begrüßtes Zeichen gegen das päpstliche Papier „Dominus Jesus“, das die römisch-katholische Kirche zur allein selig machenden erklärt hatte.
Über allem aber wackelt und zittert seit vier Tagen ein weiteres Streitobjekt: Jesus Christus, die Arme ausgebreitet, gesichtslos, mit abstehenden Ohren und prall aufgepustet. Zwölf Plastikfiguren des Künstlers Manfred Stumpf, je zwölf Meter hoch, schwanken hoch oben auf den Wolkenkratzerdächern von Versicherungen und Banken und sollen zentrale Botschaft sein, Segen auch denen spenden, die in der Main-Metropole das Geld verwalten. Das umstrittene Projekt blieb am Boden eher unbemerkt.
Dass die Politiker „nicht über der Welt schweben“, lobte ein 18-jähriger Schüler, der am Mittwochabend in den Genuss eines altkirchlichen Rituals kam. Bundestagspräsident Wolfgang Thierse wusch ihm die Füße, eine Symbolhandlung, die sich gerade bei jungen Rücksackträgern ganz neuer Beliebtheit erfreut. HEIDE PLATEN
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