NPD stürmt linke Hochburg

Festnahmen und Verletzte bei Demonstration gegen NPD-Kundgebung in Göttingen. Kultusminister Oppermann (SPD): Parteiverbot so zügig wie möglich durchsetzen

GÖTTINGEN taz ■ Göttingen, 16. Juni, 10 Uhr morgens: Über dem Campus der Universität schwebt ein Polizeihubschrauber, aus einem Lautsprecherwagen der Antifa klingt „Das Lied vom Tod“. Was jahrzehntelang unmöglich war, am Sonnabend ist es geschehen: Die NPD marschiert durch die Straßen der linken Hochburg.

„Wir haben, soweit ich weiß, noch nie in Göttingen demonstriert“, sagt NPD-Versammlungsleiter Frank Schwerdt nicht ohne Stolz. Kein Wunder, denn mehr als zehn Jahre lang konnten die Autonomen von der „Antifa (M)“ eine nahezu „nazifreie Stadt“ garantieren. Nur diesmal nicht. Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg hatte die Demonstration in letzter Instanz erlaubt: Auch der NPD müsse die Möglichkeit gegeben werden, ihre Kandidaten für die Kommunalwahlen im September vorzustellen.

Dass rechten Demonstranten und die in Göttingen traditionell zahlreichen linken Gruppen nicht aufeinander treffen, dafür sorgte die Polizei mit einem Großaufgebot von mehr als 2.000 Beamten. Und mit dem Einsatz von körperlicher Gewalt: Als gegen Mittag ein Zug von Autonomen und Studenten versucht, in Richtung des Versammlungsorts der NPD durchzubrechen, und Steine und Flaschen fliegen, werden Schlagstöcke geschwungen. Ein Demonstrant liegt mit Kopfwunde am Boden, einem Mädchen wird im Vorbeigehen von einem Polizisten in den Magen geschlagen.

Nur wenige Meter entfernt wartet der Demonstrationszug des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). Doch die Polizei riegelt ab, die Lage droht zu eskalieren. Besonnenen Bürgern, darunter einigen Pastoren, gelingt es schließlich, zu vermitteln. Am Ende ziehen mehr als 4.000 Menschen gemeinsam um die Innenstadt.

Für Kultusminister Thomas Oppermann (SPD) zeigt diese Gegendemonstration, dass Göttingen eine weltoffene Stadt sei, in der Rechtsextremisten „keinen Fuß auf den Boden bekommen“. Dennoch sei es wichtig, dass „das NPD-Verbot so zügig wie möglich durchgeführt wird“. Das hofft auch Stefan Wenzel, grüner Landtagsabgeordneter. Es sei offensichtlich, „dass hier unter dem Deckmantel des Parteiengesetzes Leute demonstrieren, die schon gezeigt haben, dass sie Menschen hetzen und verletzen.“

Ein Haufen von etwa 500 rechten Skinheads lauschtunter Polizeischutz den NPD-Kandidaten für den Kommunalwahlkampf. Auch Horst Mahler, der Ex-RAF-Anwalt, darf wirre Tiraden von sich geben, die wohl nicht einmal seine Anhänger richtig begreifen.

Die „Nationale Opposition“ zieht – „Ruhm und Ehre der Waffen-SS“ und „Wir kommen wieder“ skandierend – zum Bahnhof. Gegen 16 Uhr ist wieder Ruhe in der Stadt. Die Bilanz des Tages: 125 festgenommene Gegendemonstranten. Die räumliche Trennung von Rechten und Linken habe funktioniert, die Grundrechte seien geschützt worden, sagt Polizeisprecher Helmut Latermann. Sebastian Wertmüller vom DGB fürchtet allerdings, dass jetzt „noch mehr NPD-Demos“ auf Göttingen zukommen. UDO ANGERSTEIN