Ein Sieger sieht anders aus

Gysis Kandidatur verdirbt dem neuen SPD-Bürgermeister Klaus Wowereit die Stunde des Triumphs. Statt zu feiern, diskutiert seine Partei die Bedrohung

aus Berlin ROBIN ALEXANDER

Den ersten Toast als Regierender Bürgermeister bringt Klaus Wowereit natürlich auf seine Getreuen aus: Die Berliner SPD ist am Ziel. Sie regiert – endlich ohne die CDU. Dahin gekommen sei sie „nach einem fulminanten Weg in den letzten Wochen“. Fulminant ist tatsächlich das passende Adjektiv. In nur wenigen Monaten hat Klaus Wowereit alle glücklich gemacht, die hier im Saal 376 des Abgeordnetenhauses versammelt sind. Die SPD-Genossen klatschen ausdauernd, weil sie endlich die treibende politische Kraft sind. Die neuen Senatoren und die grünen Funktionäre lächeln dankbar, sie werden mit in die Regierungsverantwortung geschleppt. Nur die Journalisten applaudieren nicht. Dabei verdanken sie Klaus Wowereit vielleicht am meisten: Provokationen, Überraschungen, Outing. Am Wochenende schließlich Königsmord per Misstrauensvotum am blassen Diepgen.

Aber was ist an diesem Tag nur mit dem Hauptdarsteller los? Mit belegter Stimme hält Wowereit eine sehr schlichte Antrittsrede vor dem Parlament. Seine frisch vereidigte Mannschaft sei ein „Senat des Übergangs“, die Probleme seien „groß“ und die Zeiten „schwer“. Am wichtigsten Tag seiner politischen Karriere schaut Klaus Wowereit blass aus dunklem Anzug und weißem Hemd. Sieger sehen anders aus.

Wie hat Wowereit vor den Abgeordneten noch bescheiden formuliert? „Wir Politiker sollten erkennen, dass auch wir Hilfe von außen brauchen.“ Von außen könnte Klaus Wowereit und seiner SPD schneller geholfen werden, als den Genossen lieb ist. Den Horizont verdunkeln Gewitterwolken, die dem SPD-Mann die Ernte im Herbst gehörig verhageln könnten.

Die bangen Blicke der Genossen richten sich am wenigsten auf Frank Steffel. Der 35-jährige CDU-Fraktionschef führte sich zwar zur Wahl Wowereits auf wie ein Wirbelsturm und sprach vom „schwärzesten Tag Berlins seit dem Mauerbau“. Aber bei den Genossen gilt er als harmloses Lüftchen. Steffel könnte die CDU mit Frontstadtrhetorik beglücken, außerhalb des Unions-Milieus aber kaum Wähler mobilisieren. Das eigentliche Unwetter bricht von Osten los. Tief Gysi bringt Sturm, so viel ist sicher. Wetterwende in Berlin: Zumindest die PDS setzt auf den ganz großen Namen – und die Lokalpolitik fröstelt gehörig.

„Das haben wir anfangs so ernst genommen wie das Gerücht, Oskar Lafontaine würde in Berlin antreten“, sagt einer, der im alten und im neuen Senat am Tisch sitzt. Gelacht haben sie über Gysis Eiertanz. Aber was man bislang als Spekulation abtun konnte, verdirbt den Sozialdemokraten jetzt die Stunde ihres Triumphs. Statt Diepgens Abwahl zu feiern, diskutieren die Abgeordneten das Szenario der Bedrohung.

Auf den Fluren des Landesparlaments ist Gysi das Thema, während im Plenarsaal gerade die neuen Senatoren gewählt werden (siehe Kasten). Jetzt sei die rot-grüne Landesregierung gut aufgestellt mit „endlich mehr als nur einer Frau, endlich frischem Wind von außen und Fachkompetenz“, freuen sich die Genossen. Aber werden die Berliner sich die neuen Gesichter überhaupt merken, wenn auf allen Kanälen Gysis markantes Profil wiedererkannt wird?

„Neuwahlen vorbereiten“, das sei das vorrangige Ziel seiner 100-Tage-Regierung, diktiert Wowereit wieder und wieder in Blöcke und Mikros. Ganz so ist es nicht: Der frisch gewählte Senat werde „Punkte machen“ müssen bis zu den Neuwahlen im Herbst, heißt es bei der SPD. Was bietet sich an? Beispielhafte Sparentscheidungen. Erste Schritte zur Sanierung der landeseigenen Bank. Durch schnelle Taten müssen die neuen Gesichter bekannt werden. Bei Gysi ist das nicht nötig: Ihn kennt jeder.

Der Regierende Wowereit zeigte gestern schon mal, wo es langgeht: 10 Uhr Kranzniederlegung für die Toten des 17. Juni 1953. Kein leichter Termin für einen, der sich keine 24 Stunden vorher von der PDS wählen ließ: Wowereit wird von Demonstranten wüst beschimpft. 11.30 Uhr Rede vor einem Kongress der Gewerkschaft Ver.di. Auch kein Heimspiel: Anders als sein Vorgänger schließt Wowereit Kündigungen im öffentlichen Dienst nicht aus. Aussitzen à la Diepgen – das war gestern. Wowereits Devise heißt: Immer hinein in die Konflikte und Probleme. Lösungen anbieten. Kompetenz demonstrieren.

„Zwei ältere Männer kandidieren gegen unseren Klaus Wowereit, der schon als Person die Zukunft verkörpert“, rief SPD-Landeschef Peter Strieder auf einer Party nach Wowereits Wahl. Da sah es noch so aus, als würde auch Wolfgang Schäuble antreten. Jetzt lautet die Parole: Die Gefahr heißt Gysi. Der „Dampfplauderer“ gefährde den Machtwechsel, indem er der SPD Stimmen nehme und die Partei damit an die Seite der CDU zurücktreibe.

Die Strategen der Partei machen sich bei Bier und kubanischem Son Mut: Die PDS repräsentiere auch mit Gysi bloß den Osten, die CDU den Westen. „Nur die SPD steht genau richtig: in der Mitte.“ Mit der Öffnung zur PDS habe man dem Osten ein Signal gegeben, der Westen werde davon nicht mehr abgeschreckt. Also nicht in der Zange zwischen CDU und Gysi-PDS? In der Stadt gebe es schon „Wowereit-T-Shirts“, lacht ein Genosse, mit dem Aufdruck „Ich bin schwul – und das ist gut so“. Ein Älterer meint nachdenklich: „Innere Substanz entscheidet sich erst im Amt.“