schwarze taz
: Krimis in der globalisierten Welt

Die passende Leiche zur Yacht

Nichts ist produktiver als die totale Zersplitterung. Das gilt auch für den Bereich der organisierten literarischen Kriminalität. Dank der fortschreitenden kulturellen Globalisierung ist die amerikanische Vorherrschaft in allen Bereichen gebrochen. Mittlerweile werden sogar interessante Psychothriller aus der Schweiz im Hardcover publiziert: In „Das Fenster zum See“ erzählt Karin Scholten in geradliniger Prosa vom haarsträubenden Schicksal einer Frau, die nach 20 unerträglichen Ehejahren die Schwarzgeldkonten ihres Mannes plündern möchte. Mit dem Geld will sie sich nach Südamerika absetzen. Doch es kommt anders: In einer schäbigen Pension wird sie in einen Mord verwickelt und landet schließlich in einer psychiatrischen Anstalt. Dort ist sie die einzige Patientin und einer angeblichen Anwältin und einem entstellten Arzt ausgeliefert.

„Die leichten Schritte des Wahnsinns“ vernimmt auch die allein erziehende Literaturredakteurin Lena Poljanskaja aus Moskau, nachdem ein Liedermacher in der Wohnung einer Freundin erhängt aufgefunden wird: Der 450 Seiten dicke, stilsicher geschriebene Roman von Polina Daschkowa erkundet die Lebensumstände selbstbewusster junger Russinnen, die sich nicht nur mit Kindern, Männern und den Unbilden des postkommunistischen Alltags herumschlagen müssen, sondern auch mit den Schatten der Vergangenheit und dem noch immer unangreifbaren und allgegenwärtigen Moloch Staat.

Beschaulicher geht es da zunächst in Veit Heinichens „Gib jedem seinen eigenen Tod“ zu: Als eine Luxusyacht ohne Besatzung an der adriatischen Küste aufläuft, muss sich Kommissar Laurenti aus Triest mit dem Fall eines vermissten Geschäftsmannes befassen, der einst unter Verdacht stand, seine Frau umgebracht zu haben. Eine nette Aufgabe für einen aufgeweckten Polizisten, wären da nicht die mörderische Sommerhitze, die Wohnungswünsche der Ehefrau und der Ehrgeiz der eigenen Tochter, die sich in den Kopf gesetzt hat, Miss Triest zu werden. Natürlich findet sich auch bald die passende Leiche zur Yacht – und dann entwickelt sich der gemütliche Italien-Krimi zum balkanischen Verschwörungsthriller.

Handelt es sich bei Heinichen um einen Deutschen, der einen literarischen Ausflug ins Italienische unternimmt, haben wir mit dem Autorenpaar Caryl Brahms & S. J. Simon zwei Engländer, die sich in ihrer ganz eigenen globalisierten Welt austoben. Ihr ironischer Upper-Class-Krimi spielt an der französischen Riviera, wo der Ballettdirektor Wladimir Stroganoff sich mit dem Bau einer Spielhölle für die oberen Zehntausend finanziell gesundstoßen möchte. Das Unternehmen gestaltet sich schwierig: Die Reichen und Schönen verlieren zu wenig an den Rulette-Tischen und ein missgünstiger Intrigant jubelt Stroganoff eine Leiche unter.

„Casino Royal“ spielt in den 30er-Jahren und hat alles, wovon nostalgische Krimileser träumen: ein mythenbesetztes Setting, jede Menge Dekadenz und jene Verruchtheit, die erst in Anwesenheit von perlenübersäten Dekolletees entsteht. Beißende Ironie und aberwitzige Dialoge vervollkommnen den Eindruck,dass es sich hierbei um eine verantwortungslose Komödie im besten Sinne handelt. ROBERT BRACK

Karin Scholten: „Das Fenster zum See“, Eichborn, 272 Seiten, 36 DMPolina Daschkowa: „Die leichten Schritte des Wahnsinns“, aus dem Russischen von Margret Fieseler, Aufbau, 454 Seiten, 39,90 DMVeit Heinichen: „Gib jedem seinen eigenen Tod“, Zsolnay, 332 Seiten, 39,80 DMCaryl Brahms & S. J. Simon: „Casino Royal“, aus dem Englischen von Isabell Lorenz, Ullstein, 334 S., 14,90 DM