: Kadaver, die zum Leben gehören
Klemens Rethmann, Chef des größten Futtermittelherstellers Europas, besteht darauf, dass Schweine und Geflügel nun mal auch Fleischfresser sind – und Tiermehl brauchen
Der Abdecker kam im Business-Look: Klassischer blauer Anzug, gelbe Krawatte, passendes Einstecktuch. Die Sache war Firmenchef Klemens Rethmann so wichtig, dass er selber zum Klinkenputzen nach Brüssel flog, statt das Lobbying seiner PR-Abteilung zu überlassen.
Ein verfügbarer Mitarbeiter hätte sich wohl finden lassen: Saria Bio-Industries, Europas größter Futtermittelhersteller (Slogan: „Produkte, die zum Leben gehören“), hat allein in Deutschland 2.500 Mitarbeiter. Europaweit sind es 15.000. Das Familienunternehmen betreibt Tierkörperbeseitigungs- und Müllverbrennungsanlagen, besitzt Frachtschiffe und Speditionen.
Es ist nicht die Sorge um die Umsätze, die ihn treibt, behauptet der Mittdreißiger Rethmann, sondern die Verschwendung hochwertiger Proteine. „Futtermittel sind für mich Teil nachhaltigen Wirtschaftens.“ Er bekommt sein Geld, egal ob Schlachtabfälle an Schweine verfüttert oder in Zementfabriken verheizt werden. In Brandenburg, Nordrhein-Westfalen und Hessen etwa übernimmt das Land anteilig die Entsorgungskosten. Saria kann mit festen Gebührensätzen kalkulieren und ist unabhängig von Preisschwankungen auf dem Futtermittelmarkt. Der Futtermittel-Experte vom Deutschen Bauernverband, Helge Amberg, bestätigt das: „Große Unternehmen wie Saria haben eigene Heizkraftwerke. Die schieben die Abfälle hin und her, je nach Gesetzeslage. Finanziell sind sie immer fein raus.“
Der „wertkonservative Öko“, wie Rethmann von anderen charakterisiert wird, sträubt sich gegen die „irrwitzige Verschwendung“. Auf der Suche nach Verbündeten hat er sich in die Öko-Szene vorgewagt. Gern kokettiert er mit dem widersprüchlichen Müllverwerter-Nadelstreifen-Image: „Als Abdecker tut man sich schwer mit Greenpeace.“ Wie er gelassen dasitzt, Grafiken griffbereit im Köfferchen, Argumente druckreif formuliert, fällt es schwer, das zu glauben.
Das private Hamburger Öko-Institut „Internationale Umweltforschung GmbH“ hat für ihn ein paar griffige Schlagzeilen für eine Kampagne formuliert: „Brot für die Welt, Fleisch für die Müllverbrennung“, lautet eine. Mit kühlen Argumenten, diese Erfahrung hat Rethmann gemacht, kommt man in Brüssel nicht weiter. Nur wer Emotionen weckt, kann Bündnisse schmieden. Da hilft die Fotomontage des mit Soja voll gepackten Frachters, der an hungernden Kindern in Südamerika vorbeischippert, um seine Ladung europäischen Schweinen vor die Füße zu kippen.
„Wenn die anderen die weiche Welle fahren, fahren wir die jetzt auch“, sagt der gelernte Ökonom, der sich noch immer zu wundern scheint, dass selbst Politprofis derartiger Polemik mehr abgewinnen können als komplizierten Berechnungen. Mit „die anderen“ ist im Wesentlichen eine Person gemeint: die Verbraucherschutzministerin, die das Verfütterungsverbot für Tiermehl zur Wunderwaffe im Kampf gegen BSE umschmiedet. „Frau Künast hat das Schwein zum Vegetarier erklärt. Wenn ich angeknabberte Schweine sehe, weiß ich: In diesem Betrieb wird kein Tiermehl verfüttert.“ Gern verweilt Rethmann noch ein wenig länger bei dem appetitlichen Thema. Auch Hühner seien entgegen einem weit verbreiteten Vorurteil keine reinen Pflanzenfresser. Es habe doch wohl jeder aus dem Urlaub auf dem Bauernhof noch so ein Bild im Kopf vom Huhn, das einen Regenwurm im Schnabel hat? Na also.
Natürlich habe die Branche ihr Image jahrelang selber ruiniert, indem sie Schweinetröge zur Müllentsorgung missbraucht habe. Rethmanns Plädoyer: „Lasst uns 30 Prozent wegwerfen, um 70 Prozent zu retten.“ Das Ökoinstitut hat für ihn Kreislaufmodelle entwickelt, die sicherstellen sollen, dass kranke Tiere, Haustierkadaver und Versuchstiere nicht in die Nahrungskette gelangen. Auch „Kannibalismus“ soll ausgeschlossen sein. Verbraucher finden den Gedanken abstoßend, dass ein Schwein Schlachtreste von Artgenossen frisst. Es gibt aber auch wissenschaftliche Argumente: Nicht abgetötete Erreger treffen dann auf ein für sie passendes Wirtstier. Nach einer Hochdruckbehandlung bei 133 Grad ist das zwar extrem unwahrscheinlich – aber doppelt hält besser, wenn Klemens Rethmann und seine Abdeckerkollegen ihr Müllmänner-Image loswerden wollen.
DANIELA WEINGÄRTNER
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