Tanzmusik, wie sie sein muss

■ Veteranen der Salsa-Geschichte dies- und jenseits des Atlantik: Africando zu Gast in der Fabrik

Kann Salsa psychedelisch sein? Es ist noch nicht lange her, dass sich in meiner kleinen Latin-Interessengemeinschaft der Terminus „Kiffer-Salsa“ verfestigt hat. Irgendwann stellten wir beim Beglotzen unserer Plattenhüllen fest, dass die meisten der ausladenden New Yorker Langrillen aus den Achtzigern, die wir diesem selbsterfundenen Genre zugeordnet hatten, Produktionen für den afrikanischen Markt waren. Und was für welche! Hochentspannt doch energetisch, Stoff, der dich einsaugt und dir für die mindestens sechs Minuten seiner Laufzeit Ewigkeit suggeriert. Stoff, der mehr Track sein will als Song. Tanzmusik, wie sie sein muss und wie sie heute Africando spielen, jene All-Star-Band des malesischen Komponis-ten und Arrangeurs Boncana Maiga, die ihre Identität von Cuba nach New York bis über den afrikanischen Kontinent spannt.

Minimal Salsa? Etwas Hypnotisches ist Latin widerfahren, seitdem westafrikanische Seeleute Anfang der Sechziger die ersten Platten des New Yorker Bandleaders Johnny Pacheco nach Senegal, Mali und an die Elfenbeinküs-te brachten. Die „Charanga“, jenes kubanische Bandformat mit Violinen und Flöten, das Pacheco damals nach Afrika brachte, war leichtfüßiger, tuffiger, als der metallene, jazzlastige Salsa-Sound. Damals gründete Africando-Bandleader Boncana Maiga das Charanga-Orchester Maravillas de Mali, das landauf landab in Westafrika spielte, bis neue Visa-Bestimmungen das Touren erschwerten. Maiga ging nach Cuba, er lernte, spielte und arrangierte im Mutterland der Latin Music gute zehn Jahre. Als Kultusminister Malis sorgte er in den Siebzigern für die Verbreitung kubanischer Musik auf dem Kontinent. Die Beispiele für die Affinität afrikanischer Popmusik für afrolatinische Einflüsse sind zahllos: Eine der ersten Platten von Yousson D'Our war ein auf spanisch gesungenes Son-Album, US-Orquestas wie Tipica Ideal oder die Charanga 83, wurden eigens gegründet, um den Charanga-Craze in Afrika marktgerecht zu beliefern. Mozambiques Superstar Labbah Sosseh spielte Anfang der Siebziger mit dem kubanischen Orquesta Aragon und Ende der Siebziger gründete der New Yorker Latin-Produzenten Roberto Torres eigens das Label SAR, um im Auftrag von afrikanischen Diplomaten aus Kamerun, Goban und der Elfenbeinküste Platten herzustellen.

Es hat also Tradition, dass die Geburt von Africando in New York stattfand: Maiga, genervt von dem weichgespülten Sound der Salsa Romantica, ließ 1992 von seinem US-Schwager und Salsa-Sänger Ronnie Baro eine hochkarätige Band aus New Yorker Salsa-Veteranen zusammenstellen, packte den senegalischen Vokalisten Pape Seck drauf und landete mit „Yay Boy“ gleich einen Hit. Nach Secks Tod 1995 wuchs sich Africando immer mehr zu einer panafrikanischen Plattform für Sänger aus, und mit der Schmonzette „Aisha“ eroberte Maiga weltweit Salsotheka-Tanzflächen im Sturm. Er hat das Richtige aus dem Erfolg gemacht, denn er hat mit Zeit und Geld, seinem Händchen für straighte, euphorische Arrangements und einigen der besten Sängern des Kontinents, darunter Lokua Kanza und Salif Keita, einen Salsa-Knüller eingespielt, der völlig zu Recht jene Charts dominiert, die unseligerweise „Weltmusik“ heißen. Wenn es heute in der Fabrik nur ansatzweise so qualmt wie in den 68 Minuten des Albums Betece, dann sehen wir ein Konzert des Jahres. Christoph Twickel

Donnerstag, 21 Uhr, Fabrik