MTV will Blut sehen

Stefan Raab am Boden, Boris Becker filetiert: Ein Besuch in der Folterkammer der Hochprominenz

aus Stuttgart TOBIAS MOORSTEDT

An guten Tagen, wenn die grünen Hügel am Stadtrand im gelben Sommerlicht leuchten, mag sich Andy Kaiser dort oben, im fünften Stock des backsteinernen Fabrikgebäudes, auch mal ein bisschen fühlen wie Gott. Meist hat der 31-jährige Trickfilmer dann die Nacht durchgearbeitet. Er beugt sich mit einem Kaffee in der Hand über sein Werk, und er sieht, dass es gut ist.

Andy Kaiser ist Regisseur bei „Film Bilder“ und hat gerade für den Musiksender MTV die deutsche Version von „Celebrity Deathmatch“ abgedreht. „Trickfilmer sind größenwahnsinnig“, meint Kaiser, „massiv größenwahnsinnig sogar. Wir wollen Welten schaffen.“ Gott spielen also. Vielleicht wäre Andy Kaiser gar keine so schlechte Wahl als Weltenlenker – mit dem Lächeln und den Bartstoppeln im Gesicht und der Zeichenkreide an den Händen. Dann sieht er eigentlich ganz freundlich aus. Wie ein ewiger großer Bruder. Seine sadistische Ader ist versteckt. Ganz tief. Ganz unten.

Auf dem Tisch liegt blutend Stefan Raab, neben ihm ein Körper ohne Kopf, ein Körper mit einem Loch in der Brust, ein Körper, ganz schwarz vom Feuer, das ihn umtoste. 30 Zentimeter hoch sind die Puppen, die in den New Yorker MTV-Trickfilm-Studios nach Fotos gefertigt wurden. Um ein bewegliches Drahtskelett herum formten die Trickbildner mit Schaumlatex das Gesicht und den Körper von Deutschlands Reichen und Schönen und manchmal sogar Begabten nach. Heute sieht Stefan Raab nicht so gut aus. Hat eine Riesendelle im Kopf. „Der hat viel mitgemacht“, erzählt Kaiser. Dirigiert vom babygesichtigen Folterknecht der Hochprominenz, lieferte sich der Raab-Klon einen blutigen Fight der Showmaster mit Harald Schmidt: Letzterer will zehn Gründe nennen, warum Raab nicht in seine Fußstapfen treten kann, und beißt ihm als erstes und zweites Argument je eine Zehe ab. Der gelernte Metzger Raab rammt Schmidt seine Pfui-Kelle durch den Leib. Schmidts Hirn wird aus dem Körper katapultiert – und erschlägt Raab. „Trickfilm ist eben subversiv“, sagt Kaiser. Stefan Raab mag er gar nicht. Mit Knete und Buntstift schafft Kaiser eine Welt, in der Stefan Raab auf die Fresse kriegt. Eine Welt, in der Stars bestraft werden für all ihre Lächerlichkeiten. Mit Schwert und Kettensäge und mit einem Maschinengewehr. Andy Kaiser ist kein sanfter Gott, er lässt Blut fließen.

30 Mitarbeiter waren ein Jahr lang beschäftigt, die Prominenten-Kämpfe mit komplizierter Stop-and-go-Technik zum Leben zu erwecken. Ein Axtschwenken, ein Schwertstreich, aufgeteilt in hunderte Einzelbilder. Blutende Wunden wurden mit rotem Filzstift aufgetragen, und bemaltes Klebeband, erzählt Andy Kaiser, gibt einen prima Ersatz für herausquellende Gedärme. Computertechnik wurde kaum eingesetzt. Nur die Blutspritzer und die Gehirnteilchen, die langsam Richtung Hallendecke taumeln, haben Digital-Power unter der Haube.

Anders als beim amerikanischen Original dauert ein Kampf der deutschen Prominenten nur 90 Sekunden. Die US-Stars haben etwa zehn Minuten zum Abschlachten. „90 Sekunden sind nichts“, meint Andy Kaiser und denkt wahrscheinlich an all die blutrünstigen Details, die dem Zeitmangel zum Opfer fallen. Der Geschäftsführer der Firma, Thomas Meyer-Herrmann, sieht die Sache pragmatischer: „Wir mussten uns halt auf das Wesentliche konzentrieren: die Gewalt.“ Zur Vorbereitung hat sich der 44-Jährige einige Episoden des amerikanischen Originals angeschaut. „In einer Folge steckt ein Kämpfer seinem Gegner ein Handy in den Kopf“, erzählt er. „Dann ruft er an, und der Kopf explodiert.“ Dann lacht Meyer-Herrmann. Ziemlich laut. Und es hallt ein bisschen in den hohen Fabrikräumen am Fuße der Hügel Stuttgarts. Ein Trickfilm, doziert er, lebe ohnehin von der Geschwindigkeit. Je kürzer, desto besser. Und am besten noch schön bunt. Und knallen muss es auch. In 90 Sekunden kann auch viel passieren. Michael Schumacher fährt mit dornenbesetztem Gokart Boris Becker in zarte Filetstreifen, wird dann aber doch noch erschlagen. Von der Becker-Faust. Neben der knappen Produktionszeit war auch der fehlende Mut des Popkonzerns MTV ein Hindernis für die Kreativen. Verärgerte Stars sind schlechte Interviewpartner. Und deshalb musste Andy Kaiser leider darauf verzichten, endlich tote Hose bei den Toten Hosen zu machen. Die Kastration des Punk-Idols Campino wurde wieder herausgeschnitten.

In kleinen Plastikbeuteln liegen die Latexfiguren jetzt im Atelier. Still und leblos und blutleer. An der Wand hängen noch die blassen Bleistiftskizzen des Massakers. Vor dem Fenster leuchten die Hügel. Und fast meint man, den leicht süßlichen Geruch von Marihuana wahrzunehmen. Aber vielleicht ist das nur Einbildung. Andy Kaiser sitzt neben dem toten Körper von Stefan Raab, die Hände blau von Zeichenkreide, und plant bereits die nächste Staffel des Prominentengemetzels. „Wir wissen ja jetzt, wie es geht“, sagt Andy Kaiser. Und Gott lächelt grausam.