truth or dare
: True blue: Eine Woche mit Madonna

Die After-Show

Dienstag lief es nicht gut für Thorsten Sohn und seinen Sohn Werner. Es hieß zwar, der Schwarzmarkt für die Madonna-Konzertkarten sei total eingebrochen – wie der Marktwert selbst einer Madonna doch innerhalb von drei, vier Tagen sinken kann! –, die Sohns aber konnten davon nicht profitieren. Nicht mal der Typ, den sie immer bei großen Konzerten herumschleichen sehen, ein kleiner Kerl mit zum Zopf gebundenen schwarzgrau gelockten Haaren, konnte ihnen helfen; er tat mal wieder so, als sei er zum Vergnügen hier, weil vor den Konzerten doch immer besser und wichtiger ist als auf den Konzerten.

Mittwoch haben sie mehr Glück, aber erst gegen 21 Uhr. Da kommt aus der Tür zum Innenraum eine Frau mit zwei Karten heraus, und durch ein lässiges Augenzwinkern gelingt es den Sohns, die Aufmerksamkeit der Frau auf sich zu ziehen. Für 50 Mark noch über eine Stunde im Innenraum! Das ist doch was! Madonna hat sich gerade umgezogen und singt „Frozen“, als die Sohns den Innenraum betreten.

Hellauf begeistert verlassen die beiden gegen halb elf die Halle, „Music“ und ein Dröhnen im Ohr. Nun stehen sie auf der Gaudystraße und diskutieren das Konzert.

„War toll, ne?“

„Riesig!“

„Ja, genau.“

„Mannomann!“.

„Und wie sie aussah“

„Ja, die vielen Kostümwechsel“.

„Genau wie im Fernsehen“

„Ja, genau wie es in den Zeitungen stand“

„Wie sie uns im Griff hatte!“

„Das lässt man sich gefallen!“

„Toll“

„Ja, vom Feinsten“

„Gehen wir jetzt noch wohin?“

„Ins Grell-Eck?“

„Nö, da sind wir doch jeden Abend“

„Wohin sonst?“

„Na, auf ’ne After-Show-Party!“

„Was ist denn das?“

„Na, die Party nach einem Konzert. Damit die Roadies und die Groupies sich amüsieren können. Da kommt vielleicht auch Madonna hin!“

„Echt?“

„Ja. Wir können ins ,Adermann‘ gehen, da hat sie gestern einen Pfefferminztee für 3 Mark 50 getrunken“

„Da kommen wir nicht rein, das ist ein Gourmet-Restaurant. Außerdem hat sie dort einen Kamillentee getrunken. Das stand in Bild.

„Nein, einen Pfefferminztee, das stand auch in Bild

„Dann lügt Bild

„Stimmt. Egal. Also nicht ins Adermann, sondern ins Sternradio am Alex, da spielt einer der Gitarristen von Madonna mit seiner Band“

Beide stiefeln also los. Lassen sich unterwegs ein Abo vom Stern aufschwatzen („Stern lügt nicht!“), kaufen ein T-Shirt und landen dann im „Mila-Eck“ (Deutsche Küche), um sich ein wenig locker zu trinken für den Einlass ins Sternradio. Drei Bier später geht’s weiter, sie schaffen es aber nur bis „Zur Schildkröte“ an der Ecke Schönhauser/Choriner. Ein schneller Schnaps muss noch. An der Theke sitzt Hans, ein alter Kumpel von den Sohns aus dem Grell-Eck, der in der Oderberger immer Ziegelsteine und Blumentöpfe verkauft. Hans ist anders als sonst, aufgeregter irgendwie, ja, geradezu konspirativ! Immer wieder zeigt er in die hintere Ecke der „Schildkröte“.

Ja, und dann sehen auch die Sohns, wer da sitzt: Madonna, in einem gelben Hosenanzug und mit rosarot gefärbten Haaren. Peter, der Wirt, serviert ihr gerade Hummerschwänze, Schwein vom Grill und Linsensalat, nicht ahnend, dass Madonna strengste Vegetarierin ist. Als die Sohns sich langsam nähern, um ein Autogramm zu bekommen, schreit Madonna sie an: „Fuck you, motherfuckers!“ So hatten sie sich ihre Begegnung mit der Leibhaftigen nicht vorgestellt.

GERRIT BARTELS

Morgen: Was von Madonna übrig bleibt