Spaniens Außenminister droht ein Gerichtsprozess

Der Konservative Josep Piqué steht im Verdacht, beim Verkauf eines Petrochemie-Unternehmens Anfang der 90er-Jahre kräftig abkassiert zu haben

MADRID taz ■ Spaniens Außenminister Josep Piqué könnte bald als Beschuldigter vor Gericht geladen werden. Das empfahl am Mittwoch der Rat der Staatsanwälte am Obersten Gerichtshof Spaniens. Mit zehn gegen zwei Stimmen sehen die Ankläger genügend Verdachtsmomente, um den Konservativen der unrechtmäßigen Aneignung, des betrügerischer Bankrotts und eines Steuerdelikts zu beschuldigen.

Die fraglichen Tatbestände fallen in die Zeit vor Piqués Karriere in der Regierung von Aznar, in der der katalanische Politiker Industrie- und später Außenminister war. Piqué gehörte Anfang der 90er als Strategiedirektor dem Vorstand des katalanischen Unternehmens Ercros an. 1991 verkaufte Ercros seine Filiale, das petrochemische Unternehmen Ertoil, an den französischen Staatskonzern Elf-Aquitaine.

Zu diesem Zweck wurde Ertoil an ein in Luxemburg ansässiges Unternehmen verkauft, das es an Elf veräußerte. Der Preis wurde künstlich hoch getrieben. Nach damaligem Kurs knapp 300 Millionen Mark der Verkaufssumme fehlen bis heute.

Die Staatsanwaltschaft und Ermittlungsrichterin Teresa Palacios vermuten, dass ein Teil der Summe in die Tasche des Mannes floss, der als Nummer 2 von Ercros das Geschäft mit Elf-Aquitaine-Präsident Loik Le Floch-Prigent und dessen Nummer zwei, Alfred Sirven, aushandelte: der mehrfach angeklagte Wirtschaftskriminelle Javier de la Rosa. Der andere Teil des Geldes dürfte bei spanischen und französischen Politiker gelandet sein, die das Geschäft genehmigten. Das Mutterhaus Ercros meldete kurz nach dem Verkauf von Ertoil Zahlungsunfähigkeit an.

Was Piqué zum Verhängnis werden könnte: Als Strategiedirektor ist er für die Ermittlungsbehörden „ein notwendiger Mitarbeiter“. Schließlich unterschrieb er die Verkaufspapiere.

Ob Piqué angeklagt wird, ist jedoch unsicher. Der Oberstaatsanwalt Jesús Cardenal stellt sich gegen das Votum seiner Staatsanwälte am Obersten Gericht. Er will jetzt den Generalrat der Staatsanwaltschaft für nächsten Donnerstag laden, um dort ein Gegenvotum zu erwirken. Letztlich kann Cardenal allein über die Empfehlung der Staatsanwaltschaft entscheiden. Das letzte Wort im Ermittlungsverfahren hat eine Kammer am Obersten Gerichtshof. Falls sie sich für eine Anklage ausspräche, bliebe noch das Parlament als Hürde, das mit einfacher Mehrheit die Immunität Piqués aufheben kann. Doch dort hat die Partei Piqués, die Partido Popular (PP), die absolute Mehrheit.

Die größte Oppositionspartei, die sozialistische PSOE, verlangt von der Regierung „Kohärenz“: „Aznar wird wissen, was er zu tun hat.“ Die Sozialisten erinnern sich gut an die harte Oppositionspolitik von Aznar, als in der ersten Hälfte der 90er-Jahre ein Korruptionsskandal nach dem anderem die Regierung González erschütterte. Den Rücktritt von Piqué fordern die Sozialisten aber nicht. Denn im Fall Ertoil lautet die Frage, welche Politiker bestochen wurden. Und das können in Frankreich und Spanien nur Sozialisten gewesen sein, denn die regierten im fraglichen Zeitraum.

REINER WANDLER