Der versteckte Beruf

Die Hausangestellten kommen wieder. Doch anders als vor hundert Jahren sind die meisten in prekären Arbeitsverhältnissen tätig, da sie als Migrantinnen weder Aufenthalts- noch Arbeitserlaubnis haben

von CRISTINA NORD

„Aber ich habe immer nur gute Erfahrungen gemacht“, sagt Maja Aksentic (Name geändert) am Telefon, ehe wir uns verabreden. Es klingt wie eine Einschränkung. Als könnte, wer keine schlechten Erfahrungen gesammelt hat, nicht Auskunft geben über den Beruf der Hausangestellten.

Maja Aksentic ist 43 Jahre alt, vor sieben Jahren kam sie aus Kroatien nach Köln. Ihren Lebensunterhalt verdiente sie, indem sie in Privathaushalten putzte. Zunächst hatte sie keine Papiere, später, als sie sich an der Universität einschrieb und heiratete, konnte sie ihren Aufenthaltsstatus sichern. Heute arbeitet sie drei Stunden wöchentlich in einem Haushalt bei einer alten Frau, für fünfzehn Mark Stundenlohn. Außerdem deckt sie in einem Hotel die Frühstückstische. Das reicht, um sich über Wasser zu halten.

Wenn Aksentic von ihren Exarbeitgeberinnen spricht, nennt sie sie Freundinnen. Glaubt man den – spärlichen – Untersuchungen zu Migrantinnen, die in Privathaushalten arbeiten, hat Maja Aksentic Glück gehabt. Vorenthaltener Lohn, ausufernde Stundenzahl, sexuelle Belästigung und ständige Disziplinierung gehören zum Alltag derer, die andrer Leute Wohnungen sauber halten, Nachwuchs hüten, Wäsche bügeln.

Je unsicherer der Aufenthaltsstatus der Hausangestellten, umso eher droht Ausbeutung durch die ArbeitgeberInnnen. Damit sind illegalisierte Hausangestellte leicht zum Schweigen zu bringen. Einen Prozess, sagt Behshid Najafi, die als Pädagogin für die Kölner Beratungsstelle Agisra arbeitet, strenge kaum eine Migrantin an. Das Risiko einer Ausweisung sei zu hoch.

Wie groß die Zahl derer ist, die in ungesicherten Arbeitsverhältnissen in Haushalten tätig sind, ist unklar. Auf der Homepage des nordrhein-westfälischen Ministeriums für Arbeit und Soziales heißt es, dass bundesweit siebenhunderttausend Menschen in Privathaushalten arbeiten, ohne gemeldet zu sein. Die Soziologin Simone Odierna, die im vorigen Jahr die Studie „Die heimliche Rückkehr der Dienstmädchen“ vorgelegt hat, errechnet knapp zweieinhalb Millionen Beschäftigungsverhältnisse. In beiden Fällen handelt es sich um Schätzungen, statistisch erfasst ist der Bereich nicht.

Helma Lutz, die als Professorin für Erziehungswissenschaft an der Universität Münster zum Thema forscht, weiß, weshalb es „keine validen Zahlen“ gibt: Bezahlte Hausarbeit ist eine „Grauzone, an deren Aufdeckung kaum jemand Interesse hat“. Klar indes ist, dass der Bedarf an Hausangestellten wächst. In dem Maße, in dem Frauen Karriere machen, Berufe sich ändern und höhere Flexibilität erfordern, entsteht in den Privathaushalten ein Vakuum – während Männer Hausarbeit meiden wie ehedem.

Wer also kümmert sich am Nachmittag, wenn der Kindergarten geschlossen hat, um die Kleinkinder? Wer schrubbt die Böden, wer putzt die Fenster, wer macht die Wäsche, wenn die Eltern jeweils vierzig und mehr Stunden in der Woche arbeiten? „Während früher hinter jedem berufstätigen Mann eine Frau stand“, sagt Helma Lutz, „steht heute hinter jeder berufstätigen Frau eine weitere Frau – oder mehrere.“

Das Vakuum trifft sich mit der prekären Situation von Frauen, die nicht aus EU-Ländern stammen. Weil sich ihnen in den Herkunftsländern kaum Perspektiven öffnen, nehmen sie die Risiken von Migration und Illegalisierung in Kauf. Dabei bedeutet die Hausarbeit oft einen gewaltigen beruflichen Abstieg. „Ich habe zwei Diplome“, sagt Maja Aksentic – eines in Theaterwissenschaft, eines in Publizistik. Bevor sie nach Köln kam und sich als Putzfrau verdingte, hatte sie auf einer Insel vor Dubrovnik als Lehrerin gearbeitet, davor als Journalistin in Sarajevo.

Ende 1993 wurde per Ministeriumserlass untersagt, dass serbische LehrerInnen in Kroatien die serbokroatische Sprache unterrichten. Aksentic, für die die Unterschiede zwischen den Bevölkerungsgruppen keine Rolle spielten, musste feststellen, dass andere die Unterschiede sehr wohl ernst nahmen. Als sie als „serbische Hure“ beschimpft wurde, fasste sie den Entschluss, Exjugoslawien den Rücken zu kehren.

Wer nicht vor den Folgen eines Bürgerkriegs flieht, hat andere, nicht minder schwer wiegende Gründe: Als Putzfrau in Berlin verdient eine Polin deutlich mehr denn als Lehrerin in Warschau – wenn sie denn überhaupt eine Stelle in ihrem Beruf findet. „Ungleiche Tausch- und Handelsbedingungen“ heißt dieses Gefälle in der Fachliteratur. Viele hoch qualifizierte Osteuropäerinnen haben seit 1989 ihren Arbeitsplatz verloren, in Ländern wie der Ukraine oder Weißrussland bleibt kaum eine andere Aussicht, als von einem Job im Westen zu träumen.

Im Bericht zum Gründungsseminar der Respect-Initiative fehlt die sarkastische Note nicht, wenn von einer ausgebildeten Chemikerin die Rede ist, die „ihr Wissen nun nutzen könne, um die Zusammensetzung von Putzmitteln zu analysieren“. Respect ist der deutsche Ableger einer europaweiten Initiative gleichen Namens. Vor anderthalb Jahren wurde das Netzwerk in Berlin gegründet, unter seinem Dach sammeln sich Selbsthilfegruppen und Projekte wie die Kölner Beratungsstelle Agisra oder die Zentrale Anlaufstelle für Pendler und Pendlerinnen aus Osteuropa (ZAPO) in Berlin.

An erster Stelle steht die Forderung, dass Arbeit im Haushalt überhaupt als Arbeit anerkannt werde. Daraus ergibt sich, dass Migrantinnen für ihre Tätigkeit als Hausangestellte eine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis erhalten – und zwar unabhängig vom Arbeitgeber: Das wäre eine Art Green Card, die nicht nur IT-SpezialistInnen zugute käme, sondern eben auch denen, die deren Arbeitskraft wiederherstellen. Darüber hinaus sind Arbeitsverträge wichtig, die Mindestlohn, maximale Arbeitszeit und ein klares Aufgabenprofil festlegen. Damit die Kontrolle der Arbeitsbedingungen möglich wird, müssen sich die Gewerkschaften für die Belange der Hausangestellten öffnen.

Parallel zur – zögerlichen – Selbstorganisation der Hausangestellten gibt es einen weiteren Ansatz, die Arbeit im Privathaushalt abzusichern und zu professionalisieren: die so genannten Dienstleistungspools. In Nordrhein-Westfalen beispielsweise existieren dreizehn dieser Pools, drei davon – in Aachen, Bochum und Düsseldorf – werden vom Landesfrauenministerium gefördert. Der Kölner Pool, Casablanca mit Namen, beschäftigt momentan neun Sozialhilfeempfängerinnen, den Rahmen dafür liefert das Programm „Hilfe zur Arbeit“. Die Frauen verrichten für die Dauer eines Jahres Haushalts- und Reinigungsarbeiten in verschiedenen Haushalten. Dafür erhalten sie ein Festgehalt von 2.240 Mark brutto. Die AuftraggeberInnen zahlen pro geleisteter Arbeitsstunde 25 Mark plus Mehrwertsteuer an den Pool.

Einer illegalisierten Hausangestellten hilft Casablanca aber nicht: Ohne Aufenthaltsgenehmigung kommt sie dort nicht unter. Und für die Sozialhilfeempfängerinnen bleibt offen, worin die Qualifizierung liegt, wenn sie in fremden Haushalten Toiletten putzen.

Und noch etwas: Die Beschäftigten sind ausnahmslos Frauen, die Hausarbeit bleibt also in weiblichen Händen. Glauben die Verantwortlichen im Sozialamt an ein Naturgesetz, demzufolge Männer nicht bügeln, spülen und wischen können? Vor diesem Hintergrund ernten die Pools eher Skepsis denn Zuspruch. Es gelte, den Bereich Hausarbeit zu enttabuisieren, meint Helma Lutz. Parteien und Gewerkschaften müssten sich des Themas annehmen, die Frage nach einer geschlechtergerechten Verteilung von Hausarbeit müsse wieder auf die politische Agenda rücken.

Teilzeitmodelle wie in Holland – wo Väter und Mütter drei Tage im Betrieb und zwei Tage zu Hause arbeiten können – wären denkbar. Auch die alte Forderung nach Lohn für Hausarbeit lasse sich wieder aufgreifen, wenn auch unter anderem Vorzeichen als in den Siebzigerjahren. Indes: Viel Hoffnung hat Helma Lutz nicht. „Ich bin über die jungen Männer erschrocken“, sagt sie. Die alte Rollenverteilung bestehe unvermindert fort. „Irgendetwas ist passiert, was in die völlig entgegengesetzte Richtung weist.“

Wer nun die illegalisierten Hausangestellten in die Opferrolle drängt, macht einen Fehler. „Das sind sehr mutige Frauen“, sagt Behshid Najafi. Helma Lutz spricht von Eigeninitiative, Unternehmungsgeist und der Erweiterung von Handlungsspielräumen. In Berlin ist es einigen Migrantinnen gelungen, vor dem Arbeitsgericht ausstehenden Lohn einzuklagen. Ausgewiesen wurden sie nicht, verhandelten die Gerichte doch das Arbeitsverhältnis und nicht den Aufenthaltsstatus.

Polinnen nutzen die räumliche Nähe und das Touristenvisum, um sich eigene Unternehmensstrukturen zu schaffen. Für drei Monate arbeiten sie in Deutschland, reisen dann aus und nach einer Frist wieder ein. Von dem, was sie zur Seite legen, können sie sich in Polen eine Existenz aufbauen. Dennoch werden die unterstützenden Projekte nicht müde, die Gefahren der Migration hervorzuheben. Immer wieder werden die Hausarbeiterinnen im Zusammenhang mit sexueller Belästigung und Ausbeutung dargestellt: eine Dramatisierung, die in die falsche Richtung weist.

Maja Aksentic sieht die Sache pragmatisch. Dass der Neuanfang in Deutschland eine harte Zeit sein würde, war ihr von Anfang an klar. Dass sie nicht in ihrem erlernten Beruf arbeiten kann, schmerzt sie zwar. Aber: „Diese Hausarbeit hat mir keinen Spaß gemacht. Aber sie lenkte ab, und das tat gut.“ An eine schlechte Erfahrung kann sie sich dann doch noch erinnern: Einmal, in der Wohnung einer jungen Frau, habe sie um ein Glas Wasser bitten müssen. „Wie ein Sklave“ habe sie sich gefühlt. Was sie gemacht hat? Sie ist nicht mehr hingegangen.

CRISTINA NORD, 32, ist Reportageredakteurin im Schwerpunktpool der taz