Das Medium ist die Botschaft

■ Hätte man die New Yorker Lesben und Schwulen, die sich 1969 in der Christopher Street erstmalig gegen brutale Polizeirazzien zur Wehr setzten, ins Hier und Jetzt versetzt – sie hätten sie sich ganz schön die Augen gerieben

Massen von bunten, knapp bekleideten Menschen, Lederfetische, Schlager, Technobeats „Viva la Diva“ auf Synthi-Pop mit hohem Gesang und aus Wagen fliegende Bonbons. Wo Love Parade und Karneval sich treffen und politische Parolen mit Fleischbeschauung vermischt ist: Klarer Fall von Christopher Street Day Parade.

Benannt nach der gleichnamigen Straße in New York, in der die Proteste begannen. Als sich vor dreißig Jahren Lesben und Schwule organisierten, um gegen Diskriminierung zu demonstrieren, hätte man mit der Entwicklung des Christopher Street Days (CSD) zu einer Riesenparty, nicht gerechnet.

„Der Christopher Street Day nordwest ist ganz klar auch eine Spaßveranstaltung“, meint zum Beispiel Meike Wengler, die Pressesprecherin des Veranstalters, dem Lesben und Schwulen Tages kurz LuST-Verein. Man habe es schließlich schwer genug als Lesbe oder als Schwuler. Die homosexuelle Lebensweise wird gefeiert und damit wird gezeigt, dass man nicht alleine ist.

Marc Grenz, Referent des Autonomen Schwulen Referates der Carl v. Ossietzky Universität, macht besonders auf die Sogwirkung des Christopher Street Days in Oldenburg aufmerksam: „Es kommen auch viele aus dem Umland, gerade aus Regionen, wo Homosexualität noch ein Problem ist. Für sie ist es wichtig, dass der CSD eine Großveranstaltung ist. Dann erst trauen die sich.“

In einem riesengroßen Rahmen Homosexualität zu zelebrieren begeistert – und die Begeisterung steckt an. Aber auch wenn Oldenburgs rosa Szene gut organisiert ist, kann von rosigen Zeiten noch nicht gesprochen werden: Diskriminierungen finden statt. Massen auf den Straßen feiern zu sehen, wirkt dann befreiend. Doch manchen bleibt ein fahler Beigeschmack rund um den CSD: „Es ist schwierig, bei soviel Party politisch zu sein, wenn soviel gesoffen wird. Es fehlt eine internationale Blickrichtung, keiner guckt nach Zimbabwe oder in die Türkei, was da mit Homosexuellen passiert! Es ist eigentlich ein Skandal!“, meint zum Beispiel Sylvia L. Außerdem würde beim Christopher Street Day immer von einer Parade ausgegangen. Eigentlich ist ja der ganze Juni Monat ein Christopher Street Day Monat.

Würde die Parade in Ostfriesland oder in Westerstede stattfinden, wo Homosexualität noch stärker tabuisiert wird als in Oldenburg, würden vielleicht weniger Menschen kommen. Dafür könnte man eher von einer Demonstration sprechen, als von einer Party, so Georg Seibt vom Schwulen Referat.

Der LuST-Verein ist sich des Problems bewusst, dass der CSD immer größer und damit auch kommerzieller wird. Angefangen hatte es 1995 mit 2.000 Menschen, am heutigen Tag werden 15.000 Menschen erwartet und mindestens 28 Paradewagen. Um zu vermeiden, dass der CSD ein Abklatsch der Love Parade wird, sind den Veranstaltern schwul-lesbische Bezüge besonders wichtig, wie bei den Parolen auf den Wagen und beim Sponsor.

Dem LuST-Verein geht es darum, über Homosexualität aufzuklären. Deswegen akzeptieren die VeranstalterInnen des LuST-Vereins, dass schwule Polizisten mitlaufen, sehr zum Missfallen der Frauen-Antifa (Fantifa). Schließlich wurde ursprünglich gegen brutale Polizisten demonstriert, ist ihr Argument. Durch das Zulassen des Polizisten Blocks sehen die Fantifas eine Akzeptanz „der herrschaftsstabilisierenden Funktion der Polizei“. Sie werfen den Veranstaltern vor, dass es Ihnen um „Teilhabe an der Macht“ ginge und nicht um die „Aufhebung von Herrschaftsstrukturen“.

Dem LuST-Verein geht es nicht um Sand im Getriebe, sondern darum, dass bei der Polizei Diskriminierung von Homosexuellen an der Tagesordnung steht. Gerade das Outen der schwulen Polizisten, vor ihren Kollegen, die die Parade begleiten, ist als mutig einzuschätzen, erklärt man dort. Für die Fantifas kein Argument: Was wäre, fragen sie provokant, wenn schwule Rechtsradikale ebenfalls mitlaufen wollten.

Das diesjährige Motto lautet „Land in Sicht“. Bewusst ohne Satzzeichen gesetzt. Ob es zweiflend-pessimistisch „Land in Sicht?“ heissen soll oder bestimmt-optimistisch: „Land in Sicht!“ soll jeder für sich selber entscheiden.

Mona Motakef